II.8. Kinderrechte als Leitlinie für die Umsetzung der 2030-Agenda

Freizeit für Flüchtlingskinder
Freizeit für Flüchtlingskinder
© Christel Kovermann / terre des hommes „Freizeit für Flüchtlingskinder“

Kinderrechte sollten in allen für Kinder relevanten Lebensbereichen verankert werden. Als umfassendes politisches Programm für nachhaltige Entwicklung ist die 2030-Agenda deshalb ein wichtiger Bezugspunkt. Die 17 Nachhaltigkeitsziele adressieren ein breites Spektrum an kinderrechtlichen Kernanliegen. Dazu zählen unter anderem inklusive und qualitativ hochwertige Bildung (Ziel 4), Schutz vor Gewalt und Ausbeutung, Sklaverei und Menschenhandel (Ziele 8 und 16), Kinderarmut (Ziel 1), Kindergesundheit (Ziel 3) und Kinderernährung (Ziel 2) sowie die Stärkung von Mädchen (Ziel 5). Die Agenda benennt weitere Themen, in denen dringender politischer Handlungsbedarf besteht, wie den Schutz und die Rechte von minderjährigen Flüchtlingen (Ziel 10). Im Vergleich zu den Millenniumsentwicklungszielen hat die 2030-Agenda kinderrechtlich deutlich an Kontur gewonnen, weil sie den Fokus auf den Zugang zu Basisleistungen um wichtige Aspekte wie Kindesschutz, Qualität von Leistungen und Stärkung erweitert hat.

Leider bleibt die Agenda für nachhaltige Entwicklung in Fragen der Kinder- und Jugendpartizipation hinter bestehenden kinderrechtlichen Vorgaben zurück. Dabei hatte es schon in Grundsatz 21 der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung von 1992 geheißen: „Die Kreativität, die Ideale und der Mut der Jugend der Welt sollten mobilisiert werden, um eine weltweite Partnerschaft zu schaffen und so eine nachhaltige Entwicklung herbeizuführen und eine bessere Zukunft für alle zu sichern.“ Mit der Agenda 21 lag ein Aktionsprogramm vor, dass die Stärkung der Rolle und aktive Einbeziehung der Jugend in den Umweltschutz und in die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu einem Schwerpunkt machte. Zwar stellt auch die 2030-Agenda fest: Kinder „sind entscheidende Träger des Wandels und werden in den neuen Zielen eine Plattform finden, um unerschöpfliches Potenzial für Aktivismus zur Schaffung einer besseren Welt einzusetzen.“ Doch sie formuliert keine Zielvorgaben dazu.

Bei einer tiefergehenden Analyse der Nachhaltigkeitsziele fällt darüber hinaus auf, dass substanzielle Kinderbezüge im Wesentlichen auf den Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung begrenzt sind. Umweltrelevanten Zielen – die dritte Säule nachhaltiger Entwicklung – fehlt es dagegen an einer eindeutig kinderrechtlichen Ausrichtung. Bereits heute sterben jedes Jahr fast zwei Millionen Kinder an umweltbedingten Ursachen. Immer mehr Kinder leiden an chronischen Krankheiten, die auf den Kontakt mit Umweltgiften zurückgehen. Klimawandel, Luftverschmutzung, Biodiversitätsverlust, fehlender Zugang zu natürlichen Ressourcen und Zerstörung von Ökosystemen sowie Urbanisierung sind Zukunftsherausforderungen, die Kinder direkt und indirekt betreffen. Kinder haben zum Beispiel ein Recht darauf, in Städten aufzuwachsen, die ihnen saubere Luft zum Atmen und grüne Plätze zum Spielen bieten (Ziel 11). Die richtigen Antworten auf den Klimawandel können nur gefunden werden, wenn Kinder in relevante Entscheidungen eingebunden sind (Ziel 13). Bemühungen um einen besseren Schutz von und Zugang zu Böden, Flüssen und anderen natürlichen Ressourcen sowie den Erhalt von Biodiversität und Ökosystemen sollten Kinderrechte wie das Recht auf Wasser und Nahrung, angemessene Lebensbedingungen und kulturelle Vielfalt berücksichtigen (Ziele 1, 2, 6, 14 und 15). Bildung für Nachhaltige Entwicklung macht nur Sinn, wenn ihr Fokus darauf liegt, Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, die es Kindern und Jugendlichen erlauben, nachhaltige Lebensstile auszubilden und sich für den Schutz der Umwelt einzusetzen (Ziel 4). Das Kinderrecht auf Leben, Gesundheit und Entwicklung muss Maßstab aller Maßnahmen zum Schutz vor Umweltgiften sein (Ziel 3 und 12).

Die Bestimmungen der UN-Kinderrechtkonvention haben großes Potential, die soziale, ökonomische, kulturelle aber auch die ökologische Dimension der Agenda zu stärken und damit Kinder als Betroffene, Akteure und Pioniere, Lernende, Konsumenten und heutige und zukünftige Entscheidungsträger anzusprechen und einzubeziehen. Sie sind auch eine Verpflichtung für die Bundesregierung. Kinderrechte sollten zur Leitlinie der deutschen Bemühungen zur Umsetzung der Agenda werden. Denn damit bekommt das Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung und Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen einen konkreten Ausdruck. Dies gilt selbstverständlich für alle relevanten Politikbereiche. Kinder sollten teilhaben und teilnehmen an der Umsetzung der Agenda, damit sie ihr unerschöpfliches Potenzial für Aktivismus zur Schaffung einer besseren Welt auch wirklich einsetzen können. Dies betrifft insbesondere auch die Bereiche Umwelt- und Naturschutz sowie nachhaltige Produktions- und Konsummuster oder urbanes Planen.

Wichtige spezifische kinderrechtliche Handlungsfelder sind in anderen Beiträgen dieses Berichtes benannt, unter anderem zu Migration (siehe Kapitel II.14), Armut und Ungleichheit (siehe Kapitel II.1 und II.2), Bildung (Kapitel II.6) oder Gesundheit (Kapitel II.5), Rüstungsexporte (Kapitel II.19) und Außenwirtschaftsförderung (Kapitel II.21) sowie die Regulierung im Ausland tätiger deutscher Unternehmen (Kapitel II.16).

Die Entwicklungszusammenarbeit kann wesentlich zur Umsetzung kinderrechtlicher Aspekte aus der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung beitragen. Noch immer sterben jeden Tag 17.000 Kinder unter fünf Jahren aus vermeidbaren Gründen, 570 Millionen Kinder leben in extremer Armut. Fast 230 Millionen Kinder werden bei der Geburt nicht registriert und haben deshalb keinen Zugang zu Basisleistungen. Sechs von zehn Kindern werden Opfer physischer Gewalt. 250 Millionen Kindern haben keinen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht, die Hälfte von ihnen sind Kinder.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat bereits 2011 das Positionspapier Junge Menschen in der Entwicklungspolitik – Beitrag zur Umsetzung der Rechte von Kindern und Jugendlichen veröffentlicht. Als Konkretisierung des BMZ-Menschenrechtskonzepts bildet es eine verbindliche Grundlage für die Identifizierung, Prüfung, Planung, Durchführung und Evaluierung entwicklungspolitischer Vorhaben mit Relevanz für junge Menschen. Das Positionspapier sollte im Zuge der Umsetzung der 2030-Agenda aktualisiert werden. Auch die Zukunftscharta von 2014 setzt einen eindeutig kinderrechtlichen Schwerpunkt. Bislang fehlt allerdings ein Aktionsplan, der die kinderrechtlichen Leitlinien für die Entwicklungszusammenarbeit in konkrete Maßnahmen übersetzt. Beides ist unerlässliche Voraussetzung für eine kohärente und integrale Implementierung der Globalen Nachhaltigkeitsziele.

Barbara Küppers
Barbara Küppers
Name

Barbara Küppers

leitet bei terre des hommes Deutschland e.V. das Referat Anwaltschaftsarbeit.

Jonas Schubert
Jonas Schubert
Name

Jonas Schubert

arbeitet bei terre des hommes Deutschland e.V. als Referent für Anwaltschaftsarbeit zum Thema ökologische Kinderrechte.