II.7.1. Gleiche Rechte für Lesben, Schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen

Die 2030-Agenda gilt für alle Länder. Weltweit soll in allen Politikbereichen ein grundlegender Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit angestoßen werden. Maßgabe ist, dass die Nachhaltigkeitsziele für alle Menschen überall gelten und niemand zurückgelassen wird. Dieses Prinzip ist für Lesben, Schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen (LSBTI) besonders relevant, da sie weltweit vielfältige Formen der Diskriminierung erfahren. Diese betreffen die Geschlechtergerechtigkeit (SDG 5) und die Inklusion aller und Chancengleichheit für alle, also den Abbau von Ungleichheiten in den Staaten (SDG 10). (Rechtliche) Ungleichheiten sind im Sinne Nachhaltiger Entwicklung auch in Deutschland zu beseitigen. Die Nachhaltigkeitsziele sind deshalb ein geeignetes Instrumentarium, um weiter bestehende Defizite in Deutschland abzubauen.

In jahrzehntelangen Kämpfen wurden Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung und gesellschaftlichen Akzeptanz von LSBTI erreicht. Diese positive Grundstimmung erweist sich derzeit als brüchig. Antifeministische und religiös fundamentalistische Strömungen verbinden sich mit homo- und transphoben Einstellungen, die auch in der „Mitte der Gesellschaft“ vertreten werden. So entstehen Anschlüsse an die Rhetorik rechtspopulistischer und rechtsextremer Lager. Die fordern eine homogene Gesellschaft, in der die „Anderen“ als angebliche Gefahr für Kinder, Nation und Abendland in die Unsichtbarkeit gedrängt werden sollen.

 

Nationaler Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie

Menschenfeindliche Parolen und Aktionen schlagen Wunden und sind Gift für das friedliche Zusammenleben. Ein wichtiges Instrument gegen Homo- und Transphobie ist die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2013 vereinbarte und nun anstehende Erweiterung des „Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ um das Thema Homo- und Transphobie.

Der Aktionsplan darf sich nicht in einer Auflistung einzelner geförderter Projekte erschöpfen, sondern muss ein in die Zukunft gerichtetes Arbeitsprogramm enthalten, das Homo- und Transphobie nachhaltig eindämmt. Dazu braucht es klare Zielvereinbarungen mit verbindlichem Zeitplan und Selbstverpflichtungen der staatlichen Stellen. Ergänzung und Umsetzung des Aktionsplans müssen im engen Dialog mit der Zivilgesellschaft erfolgen. Zudem muss er kohärent sein, also auch die rechtliche Gleichstellung, die Ehe für alle sowie einen verbesserten Diskriminierungsschutz und eine freiheitliche Reform des Transsexuellenrechts beinhalten. Eine Politik, die vorgibt, gegen Homo- und Transphobie kämpfen zu wollen, aber gleiche Rechte verweigert, ist unglaubwürdig.

Wichtige Aktionsfelder sind:

Hasskriminalität: Notwendiger ist ein Maßnahmenpaket gegen homo- und transphobe Gewalt. Dies beinhaltet eine bessere Erfassung und Sichtbarmachung solcher Straftaten, Maßnahmen zur Prävention, eine angepasste Aus- und Fortbildung bei Polizei und Justiz, Ansprechpersonen für die Belange von LSBTI in der Bundespolizei und die ausdrückliche Einbeziehung homo- und transphober Motive in die gesetzlichen Regelungen gegen Hasskriminalität. Im Strafgesetzbuch (etwa § 46 Abs. 2 StGB) müssen auch Homophobie und Transphobie klar benannt und verurteilt werden. So erfahren die Behörden mehr Sensibilisierung und die Opfer mehr Unterstützung. Eine Hierarchisierung bei den Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit darf es nicht geben.

Ehe für alle: Während immer mehr demokratische Länder die Ehe öffnen, hält sich Deutschland weiterhin mit halbherziger Flickschusterei auf. Statt alle noch bestehenden Benachteiligungen von Lebenspartnerschaften zu beseitigen, vor allem beim gemeinsamen Adoptionsrecht, hält der Gesetzgeber weiterhin an Unterschieden zur Ehe fest. Die Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare ist mit einer demokratischen Grundordnung unvereinbar. Die Ehe für alle wäre auch die richtige Antwort auf homophobe Hetze.

Pädagogik der Vielfalt: Es gehört zum Bildungsauftrag der Schule, Kinder und Jugendliche auf gesellschaftliche Vielfalt vorzubereiten und Diskriminierungen – auch in der Schule – entgegenzuwirken. Religiöse Fundamentalistinnen und Rechtspopulisten kämpfen vielerorts mit großer Verve dafür, dass Informationen über lesbisches und schwules Leben in der Schule tabuisiert werden. Sie laufen mit Hassparolen Amok gegen eine Pädagogik der Vielfalt. Dabei ist die schulische Beschäftigung mit LSBTI ein fundamentaler Bestandteil von Demokratie- und Menschenrechtsbildung. In allen Bundesländern müssen Bildungspläne für eine Pädagogik der Vielfalt verankert werden.

Diskriminierung durch die römisch-katholische Kirche: Die römisch-katholische Kirche ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Viele Lesben und Schwule sind bei ihr angestellt. Wollen sie heiraten, müssen sie eine Kündigung befürchten. Monat für Monat wenden sich Betroffene daher an den LSVD. Der Gesetzgeber darf der römisch-katholischen Kirche nicht weiter zugestehen, sich als Arbeitgeberin außerhalb des Diskriminierungsverbots in der Verfassung und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu stellen.

Deutsche Blockade der EU-Nichtdiskriminierungspolitik: Die EU-Grundrechtecharta fordert explizit auch den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität und verpflichtet damit alle Mitgliedstaaten zu entsprechenden Maßnahmen. Allerdings haben nur zehn der 28 Staaten einen umfassenden Diskriminierungsschutz verankert, darunter auch Deutschland durch die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das liegt daran, dass die bisherigen Gleichbehandlungsrichtlinien das Zivilrecht teilweise ausklammern. Deshalb wird auf EU-Ebene seit Jahren über die Schließung dieser Lücke durch eine „horizontal non-discrimination directive“ diskutiert. Eine Einführung scheiterte bislang an der Bundesregierung. Deutschland sollte als größtes Mitgliedsland klar und deutlich machen, dass in der EU niemand diskriminiert werden darf.

LSBTI und Flüchtlingspolitik: In der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik werden menschenrechtliche Standards zurückgenommen. Die beabsichtigte Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als „sichere Herkunftsstaaten“ widerspricht europäischer und deutscher Rechtsprechung. Sie verharmlost die dortige Kriminalisierung von Homosexuellen mit dem Hinweis, dass sie keine systematische Verfolgung zu fürchten brauchen, solange sie sich verstecken. Die Bundesregierung zeigt, dass sie aus der singulären Verfolgungsgeschichte von Homosexuellen in Deutschland keine Lehren gezogen hat.

Klaus Jetz
Klaus Jetz
Name

Klaus Jetz

ist Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD.