I. Nachhaltiges Deutschland – noch ein weiter Weg

Als die Vereinten Nationen, personifiziert durch die Staats- und Regierungschefs ihrer Mitgliedsstaaten, im September 2015 bei einer Sonder-Generalversammlung feierlich die 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung unter der Überschrift Transformation unserer Welt beschlossen, gab es aus den Reihen der Zivilgesellschaft viele anerkennende Worte. Kaum jemand hätte geglaubt, dass der Beschluss der Rio+20-Konferenz 2012, einen Verhandlungsprozess über Nachhaltigkeitsziele zu starten, zu einem ambitionierten Zielekatalog führen würde. Widerstände gab es genug, aber sie konnten sich nicht durchsetzen.

Bei erfahrenen Beobachterinnen und Beobachtern machte sich so eine Art „déja-vu-Stimmung“ breit. Hatten wir so etwas nicht schon einmal? Damals, der Erdgipfel in Rio 1992, die Agenda 21? Eine Agenda für das 21.Jahrhundert für nachhaltige Entwicklung, dick wie ein Telefonbuch, von der nur wenig umgesetzt wurde?  Oder die Millenniumentwicklungsziele von 2000, weniger ambitioniert und dennoch nur sehr lückenhaft umgesetzt? Verständlich, dass die feierliche Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele in der Öffentlichkeit weitaus weniger Begeisterung oder gar Euphorie auslöste als einst die Agenda 21 in Rio. Regierungen versprechen viel, alles nur ein PR-Manöver – ähnliche Stimmen waren häufig zu hören, wenn überhaupt von der Nachhaltigkeitsagenda Notiz genommen wurde. Wie dem auch sei: Nüchterner politischer Realismus gebietet, die Regierungen nun illusionslos beim Wort zu nehmen und die 2030-Agenda als weiteres Argument in der politischen Auseinandersetzung zu nutzen, ausstehende Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit einzufordern und politisch auch gegen Widerstände durchzusetzen. Das tut die Zivilgesellschaft nun überall auf der Welt. Auch wir.

 

Die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung

Im Mittelpunkt der neuen Entwicklungsagenda stehen die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Sie bestehen aus einem Katalog von 17 Oberzielen und 169 Zielvorgaben. Die SDGs basieren auf den universellen Menschenrechten und decken sowohl die soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen nachhaltiger Entwicklung ab als auch die Bereiche Frieden und internationale Zusammenarbeit.

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs)

Ziel 1. Armut in allen ihren Formen und überall beenden

Ziel 2. Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern

Ziel 3. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern

Ziel 4. Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern

Ziel 5. Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen

Ziel 6. Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten

Ziel 7. Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern

Ziel 8. Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

Ziel 9. Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

Ziel 10. Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern

Ziel 11. Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten

Ziel 12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

Ziel 13. Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

Ziel 14. Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen

Ziel 15. Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen

Ziel 16. Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

Ziel 17. Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen

Quelle: www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf

 

Das Neuartige der SDGs besteht darin, dass sie universell gültig sind. Sie betonen die Notwendigkeit der Veränderungen im eigenen Land, aber verlieren gleichzeitig die internationale Verantwortung der reichen Länder, insbesondere bei der Bekämpfung von Armut und Hunger, nicht aus den Augen. Die SDGs betreffen damit auch die deutsche Politik in dreifacher Hinsicht:

 

1) Der SDG-Katalog umfasst Ziele, die die interne Situation Deutschlands betreffen. Hierzu gehören zum Beispiel Ziele, die sich aus den menschenrechtlichen Verpflichtungen ableiten, etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung. Beispiele sind die Halbierung des Anteils der Armen in Deutschland und die Verringerung des Anteils der Jugendlichen ohne Schulabschluss.

2) Einige Ziele der 2030-Agenda adressieren die externen Effekte der deutschen Politik und Wirtschaft. Sie erfordern innenpolitische Maßnahmen, die auch unmittelbare Auswirkungen für Menschen in den Ländern des Südens haben. Hierzu zählen Ziele zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, zur Veränderung nicht nachhaltiger Konsum- und Produktionsweisen, aber auch zum Umgang mit Migrantinnen und Migranten.

3) Der SDG-Katalog enthält schließlich Ziele, die die internationale Verantwortung und Solidarität Deutschlands betreffen. Die entsprechenden Zielvorgaben betreffen neben den klassischen entwicklungspolitischen Verpflichtungen (Stichwort 0,7-Prozent-Ziel) alle Bereiche globaler Strukturpolitik (Handel, Investitionen, Finanzsysteme usw.).

Die SDGs sind keine Maximalziele. Sie sind der zum Teil widersprüchliche Kompromiss eines diplomatischen Aushandlungsprozesses zwischen den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Selbstverständlich steht es jedem Land frei, über die SDGs hinaus zusätzliche Ziele oder ambitioniertere Zielvorgaben zu definieren. Dies gilt auch für Deutschland.

Aber die 2030-Agenda ist mehr als nur ein Katalog von Entwicklungszielen. Die Regierungen waren sich grundsätzlich einig, dass sie in der neuen Agenda nicht nur die gemeinsamen Ziele für die kommenden 15 Jahre definieren können, wenn sie nicht gleichzeitig auch die Mittel und Wege beschreiben, um diese Ziele zu erreichen. Umstritten blieb allerdings bis zuletzt, welche Mittel dies sein sollen und wer für Ihre Bereitstellung verantwortlich ist.

Die politische Relevanz der 2030-Agenda wird sich darin beweisen, ob die Nachhaltigkeitsstrategien von Bund und Ländern auch die Mittel zur Umsetzung der Agenda und ihrer Ziele systematisch abbilden. So wie die SDGs mit ihrem mehrdimensionalen Ansatz alle Politikfelder betreffen, muss auch ihre Umsetzung im Sinne einer kohärenten Gesamtstrategie zur Aufgabe aller Ressorts gemacht werden. Ob dies gelingt, wird auch davon abhängen, in welchem Maße Zivilgesellschaft und Medien die SDGs als Referenzrahmen nutzen, sie in der deutschen Öffentlichkeit bekannt machen und kontinuierlich von der Politik ihre Verwirklichung einfordern.

 

Deutschland ist kein Nachhaltigkeits-Vorreiter

In der Tat, der Handlungsbedarf ist enorm. Der vorliegende Sammelband zeigt, dass das vielzitierte Bild vom „Nachhaltigkeits-Vorreiter“ Deutschland über weite Strecken Wunschdenken ist und einer kritischen Überprüfung nicht standhält – selbst in der Umweltpolitik. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Fortschritte zu zögerlich sind. In weiten Politikbereichen geht die Regierungspolitik nach wie vor in die falsche Richtung. Deutsche Verkehrspolitik wird seit jeher fern umwelt- und klimapolitischer Kriterien gestaltet und setzt auch in Zukunft unbeirrt auf den weiteren Ausbau des Straßen- und Luftverkehrs und damit auf mehr Treibhausgasemissionen. Deutsche Agrarpolitik pocht unbeirrt auf eine weitere Konzentration und Weltmarktorientierung, obwohl die Verbraucher immer deutlicher mehr Agrarumweltschutz, mehr Tierschutz, mehr regionale Wertschöpfung, mehr bäuerliche Landwirtschaft wollen. Das Vorzeigeprojekt Energiewende, von weiten Teilen der Wirtschaft und der politischen Klasse ohnehin nur zähneknirschend akzeptiert, wird durch die Demontage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aktiv verlangsamt. Die fixe Idee der „schwarzen Null“ wurde in den Verfassungsrang erhoben – aber ökologisch lebt die Bundesrepublik Deutschland auf viel zu großem Fuß, auf Kosten des Rests der Welt und künftiger Generationen. Der „ökologische Fußabdruck“ der Deutschen ist enorm. Nur zwei Beispiele: Mehr als 2 Millionen Hektar Agrarfläche belegt dieses Land im Ausland, um seine enormen Futtermittelimporte zu produzieren. Der durchschnittliche Prokopf-Ausstoß an CO2 der Deutschen liegt bei 10 Tonnen im Jahr – nachhaltig wären allenfalls 2 Tonnen. Man braucht nicht viel herumzurechnen, um zu erkennen: Ein derartiger Ressourcenverbrauch wie der deutsche ist nicht globalisierbar, ist nicht zukunftsfähig. Es ist und bleibt ein unauflösbarer Widerspruch, wenn die Regierung sich zu Nachhaltigkeit bekennt, aber gleichzeitig alles tut, um mit mehr Wirtschaftswachstum diesen überdimensionierten Ressourcenverbrauch weiter zu erhöhen oder zumindest nicht sinken zu lassen.

Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik klaffen die Anforderungen an Nachhaltigkeit und das Handeln der Bundesregierung weit auseinander. Für immer mehr Menschen ist das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft längst Geschichte. Der politisch gewollte Niedriglohnsektor umfasst mittlerweile ein Drittel der Gesellschaft, mit geringen Bildungs- und Aufstiegschancen und vorprogrammierter Altersarmut. Der Anteil der Wohlhabenden und der Unternehmen am Steueraufkommen dieses Landes ist seit den neoliberal geprägten Reformen ab 1998 rückläufig. Seit Jahren wird die wachsende Ungleichheit beklagt: Die reichsten Teile der Gesellschaft werden immer reicher, die Mittelschicht schrumpft, die Unterschicht wird abgehängt. Bildung als Aufstiegsmöglichkeit bleibt den meisten verwehrt – in kaum einem europäischen Land sind die Bildungschancen so von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland. Man kann es drehen und wenden wie man will: Wir leben in einer Welt, in der nennenswertes Wirtschaftswachstum praktisch nicht mehr stattfindet, egal wie sehr sich die Politik darum bemüht; selbst wo es noch Wachstum gibt, führt dies nicht zu weniger Ungleichheit. Diese kann nur bekämpft werden, wenn mit aktiver Umverteilung auch am oberen Ende der Einkommens- und Vermögensverteilung Grenzen gezogen bzw. Einschnitte vorgenommen werden. Weniger Armut bedeutet unvermeidlich, weniger Reichtum bei den oberen 10 Prozent. Die deutsche Politik tut sich mit aktiver Umverteilungspolitik nach wie vor schwer. Wenn sie die 2030-Agenda ernst nimmt, wird sie sich etwas einfallen lassen müssen.

 

Proteste gegen Handelsabkommen gehen auch um Nachhaltigkeit

Die heftigen Kontroversen in Deutschland, in Europa, in den USA um Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA sind im Kern Auseinandersetzungen um Nachhaltigkeit. Diskussionen um Lebensmittelstandards, um den Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge vor der Kommerzialisierung, um die Transparenz- und Demokratiedefizite der Handelspolitik sind letztlich der Versuch einer kritischen Öffentlichkeit, ökologische und soziale Rückschritte zu verhindern und politische Handlungsspielräume für Nachhaltigkeit zu erhalten.

Aber auch ökonomisch kann die Nachhaltigkeit Deutschlands hinterfragt werden. Deutschland türmt Exportüberschüsse auf wie kein anderes Land – 2015 waren es sage und schreibe 247,8 Milliarden Euro. Jeder in Deutschland lebende Mensch hat statistisch 2.750 Euro Exportüberschuss gegenüber dem Rest der Welt erwirtschaftet. Darauf sollte dieses Land nicht stolz sein. Leider ist der Exportüberschuss des einen zwingend das Handelsbilanzdefizit des anderen. Es gehört nicht viel dazu, zu erkennen, dass es nicht nachhaltig sein kann, wenn ein Land Jahr für Jahr seine Exportüberschüsse in immer neue Höhen steigert – auf Kosten des Rests der Welt, mittlerweile auch auf Kosten des Zusammenhalts der EU.  Der Beitrag zu diesem Buch aus Griechenland zeigt: Deutschlands Wirtschaftsmerkantilismus geht auch auf Kosten der Fähigkeit anderer Länder, die 2030-Agenda umzusetzen. Für die deutsche Politik ist die ständige Steigerung des Exportüberschusses dennoch weiterhin unangefochtene Staatsräson. Nachhaltig ist das nicht. 

Dafür treibt die deutsche und europäische Handelspolitik die weitere Marktöffnung überall auf der Welt voran, mit entwicklungspolitisch sehr schädlichen Folgen. Gerade am Beispiel Afrikas ist unübersehbar, wie die völlige Liberalisierung des Handels im Wesentlichen europäischen Exporteuren nützt, aber Entwicklung und erst recht nachhaltige Entwicklung dort konterkariert. Nicht die europäische Agrarindustrie muss Afrika ernähren, sondern afrikanische Bauern – und wer ihnen die Märkte ruiniert, schafft Fluchtursachen. Arme Länder mit der Drohung zu erpressen, Entwicklungshilfe zu streichen, wenn sie ihre Märkte nicht für europäische Produkte, Dienstleistungen und Investitionen öffnen, wie zuletzt gegenüber Kenia praktiziert (vgl. Kapitel II.14 in diesem Bericht), ist schlicht inakzeptabel und erinnert an Praktiken aus der Kolonialzeit. Entwicklungsminister Gerd Müller hat recht, wenn er sagt, es sei ein Irrweg zu glauben, Deutschland könne seinen Wohlstand dauerhaft auf Kosten anderer realisieren. Die Forderung nach globaler Umverteilung, die Minister Müller am Rande der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba 2015 aufgestellt hat, muss in konkrete Politik überführt werden, und dazu gehört vor allem die Handelspolitik. Zu einer Neuorientierung der europäischen Handelspolitik sind bisher aber weder Bundesregierung noch EU-Kommission bereit – ein wesentliches Hindernis für eine nachhaltigere Wirtschaft.

 

Alternativen zu Globalisierung müssen umgesetzt werden

Wenn es um Globalisierung geht, hört man schnell das Dogma „There is no alternative“. Es gibt immer Alternativen, und das gilt auch für die Frage, wie man Globalisierung gestaltet. Selbstverständlich kann man sie auch so gestalten, dass man nicht alle Märkte für die Stärkeren öffnet, sondern sorgfältig so dosiert, dass möglichst alle etwas davon haben.

Vielleicht sollten wir uns von dem Gedanken lösen, Deutschland sei in Sachen Nachhaltigkeit „Vorreiter“. In weiten Teilen ist dieses Land nämlich nicht Vorreiter, sondern hinkt enorm hinterher. Die Welt erwartet von Deutschland nicht, Vorreiter zu sein – aber sie erwartet, dass wir endlich den enormen Handlungsbedarf zur Kenntnis nehmen, den es in unserer Agrarpolitik, Handelspolitik, Verkehrspolitik und vielen anderen Bereichen gibt. Und dass wir daraus Konsequenzen ziehen.

Ein weiteres, gerne zitiertes Denkmuster ist, dass die Nachhaltigkeitsagenda nur dann eine Chance habe, wenn sie der Bevölkerung wohldosiert vermittelt werde, denn man dürfe die Bevölkerung nicht überfordern. Dahinter steckt die Vorstellung, dass das „einfache Volk“ von solchen Dingen wie Nachhaltigkeit nicht viel hält, dass so etwas eine Zumutung ist, die Wählerstimmen kostet. Dieses Argument hält allerdings einer genaueren Überprüfung nicht stand. Niemand möchte Autos, die in Wirklichkeit mehr verbrauchen als angegeben. Niemand möchte antibiotikaverseuchtes Fleisch aus tierquälerischer Massentierhaltung, niemand möchte Glyphosat im Bier. Wir kennen auch niemanden, der der Meinung ist, die Agrarwirtschaft dieses Landes müsse noch mehr exportieren, selbst um den Preis dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in Afrika noch mehr Bauern wirtschaftlich ruiniert werden. Immer mehr Globalisierung, immer mehr Deregulierung sind keine  Forderungen der Bevölkerung, sondern von Wirtschaftslobbies. Selbst hochstilisierte Großkonflikte der Vergangenheit wie beispielsweise die Einführung des Dosenpfandes entpuppen sich im Nachhinein nicht als Konflikt der Politik mit „dem Volk“, sondern als Konflikt der Politik mit dem Einzelhandel. Es gibt keine Verbraucher-Bewegung für die Wiedereinführung von Getränkedosen, aber nach wie vor hartnäckige Versuche des Einzelhandels, nachhaltige Mehrwegsysteme zu sabotieren.

 

Derzeitige Wahlergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache – Man hat genug vom Weiter so!

Die Gesellschaft in Deutschland und vielen anderen Ländern steht heute an einem Scheideweg. Lange verdrängte Probleme lassen sich nicht mehr aussitzen: die ökologische Krise spitzt sich zu; Armut und Konflikte im globalen Süden führen zu massiv zunehmenden Migrationsströmen; die soziale Polarisierung gefährdet die Stabilität Europas. „Weiter so“ kann nicht die Devise sein.

Gleichzeitig sind die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den etablierten Politikmustern, der grassierende Vertrauensverlust in die Fähigkeit der politischen Eliten zur Lösung von Problemen unübersehbar. Weltweit greifen Regierungen zu mehr Repression, wenn der Druck einer kritischen Öffentlichkeit zu unangenehm wird. Dies bekommen insbesondere Menschenrechtsverteidiger/innen zu spüren, die sich für Zugang zu Land  und Umweltschutz einsetzen. Die EU-Staaten haben unter dem Eindruck ihrer zahlreichen Krisen immer mehr Politik in die Exekutive verlagert, Parlamente haben massiv Einfluss verloren. Doch wer hinter verschlossenen Türen unter seinesgleichen diskutiert, schaltet das demokratische Korrektiv aus und macht mehr Fehler. Dementsprechend sehen die Wahlergebnisse aus. Die zahlreichen Verlierer einer für „alternativlos“ erklärten neoliberalen Wirtschaftspolitik wehren sich und erzwingen Alternativen – leider nicht immer im Sinne sozialer, wirtschaftlicher oder ökologischer Nachhaltigkeit und der Menschenrechte. Wie tatsächlich gangbare Alternativen aussehen können, für die menschenrechtliche Errungenschaften der letzten Jahrzehnte nicht geopfert werden müssen, dafür sind die Nachhaltigkeitsziele der UN eine gute Vorlage. Sie sind kein Forderungskatalog von Protestbewegungen, kein Programm von Nichtregierungsorganisationen, sondern (zumindest theoretisch) regierungsamtliche Politik aller Staaten. Viele erkennen erst jetzt allmählich, dass man weite Bereiche der Politik völlig neu angehen muss, wenn man die 2030-Agenda ernstnehmen will. Die 2030-Agenda ist auch eine Chance, verlorengegangenen – und weiter schwindenden – gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederzugewinnen.

Es geht also um nichts weniger als einen grundsätzlichen Kurswechsel zu mehr Nachhaltigkeit. Dazu gibt es in der Tat keine Alternative. Mehr soziale Gerechtigkeit, Wirtschaften im Einklang mit den ökologischen Grenzen des Planeten, ein menschenwürdiges Leben für alle und überall. Kurz und prägnant: eine andere Welt ist möglich. Dazu muss die deutsche Politik ihre zahlreichen Widersprüche endlich angehen, statt sie weiter auszusitzen. Denn dass die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele genauso fehlschlägt wie die der Agenda 21 – diese Alternative wollen wir uns lieber gar nicht vorstellen.

In Anerkennung dessen, dass das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen das zentrale internationale zwischenstaatliche Forum für Verhandlungen über die globale Antwort auf den Klimawandel ist.

Literature

UN-Generalversammlung (2015): Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. New York [http://www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf].