Menschenrechte und Engagement als Antworten auf den Rechtspopulismus

„Seit Jahren erleben politische und gesellschaftliche Kräfte einen Auftrieb, die nicht nur die EU rückabwickeln wollen, sondern die auch offen gegen Minderheiten wie Muslime, Homosexuelle oder Flüchtlinge hetzen.“
„Seit Jahren erleben politische und gesellschaftliche Kräfte einen Auftrieb, die nicht nur die EU rückabwickeln wollen, sondern die auch offen gegen Minderheiten wie Muslime, Homosexuelle oder Flüchtlinge hetzen.“
Kalispera Dell (2015): PEGIDA Demo DRESDEN 25 Jan 2015 (CC BY 3.0)

Von Stefan Paul Kollasch und Christian Woltering

Rechtspopulismus ist eine Gefahr für die Demokratie – nicht nur in Deutschland. Seit Jahren erleben politische und gesellschaftliche Kräfte einen Auftrieb, die offen gegen Minderheiten wie Muslime, Homosexuelle oder Flüchtlinge hetzen. Eine menschenrechtsbasierte Politik und eine solidarische Gesellschaft können Antworten auf diese Gefahr sein und sich gegenseitig stärken, wenn die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen stimmen. Es gilt, gesellschaftliches Engagement anzuerkennen, zu schützen und zu stärken, d.h. mit den nötigen Ressourcen auszustatten. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bietet dafür einen guten Rahmen, aber zu wenig konkrete Anknüpfungspunkte. Die (fehlende) Operationalisierung der Ziele durch die bisherigen Indikatoren lässt kaum Druck auf die Akteure der unterschiedlichen Ebenen zur besseren Achtung von Menschenrechten zu.

 

Von der rechtsradikalen Front National in Frankreich über die Freiheitliche Partei Österreichs, die Schweizerische Volkspartei bis zur Alternative für Deutschland; seit Jahren erleben politische und gesellschaftliche Kräfte einen Auftrieb, die nicht nur die EU rückabwickeln wollen, sondern die auch offen gegen Minderheiten wie Muslime, Homosexuelle oder Flüchtlinge hetzen. Deutschland war dabei „viele Jahre lang ein weißer Fleck auf der Landkarte“. [fn]Häusler (2016). [/fn] Seit etwa 2010 versuchen Parteien wie Pro Deutschland, Die Freiheit oder eben die Alternative für Deutschland (AfD) verstärkt, mit ihren nationalistischen und antiliberalen Thesen an konservative und bürgerliche Positionen anzuknüpfen. Sie sehen sich als Kämpfer für das angeblich vom Islam bedrohte, christliche Abendland, wollen Migration strikt begrenzen, hassen alles vermeintlich Liberale und Linke und die gesellschaftliche Vielfalt, etwa bei Familienmodellen oder Geschlechterrollen. [fn]Vgl. Staud (2017). [/fn]

Allgemein wird zur Beschreibung dieser politischen Strategie der etwas unscharfe Begriff des „Rechtspopulismus“ verwendet. Damit bezeichnet man eine Politik, die autoritäre Vorstellungen vertritt, verbreitete rassistische Vorurteile ausnutzt und verstärkt. Als Kern des Rechtspopulismus charakterisieren Politikwissenschaftler/innen eine demagogische Argumentation, die „das einfache Volk“ gegen „die da oben“ stellt. [fn]Die Begriffserklärung basiert auf dem Rechtsextremismus-Glossar der Bundeszentrale für politische Bildung, siehe www.bpb.de/173908. [/fn] Jan-Werner Müller hebt als weiteres Kriterium den Alleinrepräsentationsanspruch von Populist/innen hervor. [fn]Vgl. Müller (2016), S. 42ff. [/fn] „Zentral ist dabei die Inszenierung eines vermeintlichen Gegensatzes von politischer Elite und ‚dem Volk‘, dessen Anwalt zu sein die extreme Rechte vorgibt. Populisten geben vor, sie kämpften gegen die vermeintlich Etablierten. Wie ein Blick in die USA und auf den neuen Präsidenten Donald Trump zeigt, kann es dabei sogar einem zentralen Repräsentanten der ökonomischen Elite gelingen, sich als Elitengegner zu inszenieren.“ [fn]Salzborn (2017). [/fn] Von einigen Politikwissenschaftler/innen wird der Rechtspopulismus zwar als eigenständiges Phänomen neben dem Rechtsextremismus (und damit noch als Teil des demokratischen Spektrums) gesehen. „Doch blickt man auf die weltanschauliche Substanz, also die zentralen ideologischen Grundlagen von Rechtspopulisten und -extremisten, dann sind keine wesentlichen Unterschiede erkennbar. Der Rechtspopulismus ist daher nicht mehr als eine strategische Option des Rechtsextremismus.“ [fn]Ebd. [/fn]

Mit der AfD hat sich in Deutschland nun eine neue Partei am rechten politischen Rand etabliert. Sie vertritt eine offen auf Ungleichwertigkeit von Menschen abzielende, rassistische, sozialdarwinistische, antidemokratische und heteronormative Politik. Ihr Programm ist nationallibertär, antisozial und in einigen Aspekten klar faschistisch. Ideologien der Ungleichwertigkeit werden nicht nur in ihren eigenen Reihen toleriert, sondern vom Spitzenpersonal der Partei offen propagiert. Sie stellt sich zum Beispiel gegen eine vermeintliche „Völkerdurchmischung“ durch die Aufnahme von Geflüchteten, will individuelle Grundrechte wie das Recht auf Asyl oder das Wahlrecht abschaffen bzw. einschränken, lehnt die Gleichstellung von Mann und Frau ab, spricht sich ausdrücklich gegen den Inklusionsgedanken aus und will rassistisch konnotierte Begriffe wie „völkisch“ wieder positiv besetzen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Zunehmend wird deutlich, dass der Rechtspopulismus als politisches Instrument und die dahinter stehenden Vorstellungen der Ungleichwertigkeit von Menschen in einem besorgniserregenden Maße Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben haben. Der ungezügelte Hass auf der Straße und im Netz formierte sich dabei aber nicht einfach über Nacht: Studien wie die Deutschen Zustände [fn]Heitmeyer (2011). [/fn] bis 2011 oder die Mitte-Studien [fn]Die letzte Veröffentlichung: Decker/Kiess/Brähler (2016). [/fn] haben deutlich gezeigt, wie weit verbreitet menschenverachtende Einstellungen in unserer Gesellschaft sind (vgl. dazu auch Kapitel II.16). Neu ist, dass diese Einstellungen durch den erstarkenden Rechtspopulismus (seien es Parteien oder zivilgesellschaftliche Gruppen wie PEGIDA) ein sichtbares Forum erhalten und damit eine stärkere Verbreitung in der Gesellschaft finden. Das wiederum verstärkt auch die Verbreitung der abwertenden Haltungen bis weit hinein in große Teile der Gesellschaft. Das gezielte (häufig rassistische) Aufhetzen gegen bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft hat direkte Folgen für die Betroffenen, für Geflüchtete, schwarze Deutsche oder Muslime, aber auch Journalist/innen bzw. (politisch oder humanitär) Engagierte oder Lokalpolitiker/innen. Sie alle erleben täglich, dass den Worten auch Taten folgen: Die Bundesregierung zählte im Jahr 2016 3.533 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte oder Geflüchtete. [fn]www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-mehr-als-3500-angriffe-auf-fluechtlinge-im-jahr-201… [/fn] Rechtsextreme Straftaten nahmen 2015 enorm zu, [fn]www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2016/pks-2015.html [/fn] über 700 Angriffe auf Politikerinnen und Politiker wurden 2016 gezählt. [fn]www.faz.net/aktuell/politik/inland/mehr-als-700-rechte-angriffe-auf-politiker-14867328.html [/fn] Die Beratungsstellen der ostdeutschen Bundesländer für Betroffene von rechter Gewalt melden ein Allzeithoch seit Bestehen der Stellen; sie sprechen von einem „Gesellschaftsproblem“. [fn]http://verband-brg.de/index.php/107-rechte-rassistische-und-antisemitische-angriffe-in-ostdeutschla… [/fn] Es wird deutlich: Die Zuwanderung von Geflüchteten ist nicht die Ursache für diese Probleme. Vielmehr wird das Problem erst dadurch sichtbar. Welche Lösungsansätze bietet unter diesen Gesichtspunkten die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie an? Welche Antworten können Solidarität, Engagement, Menschenrechte und demokratische Teilhabe sein? Und was tut die Bundesregierung in diesem Sinne (nicht)?

 

Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Antworten auf den Rechtspopulismus?

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) [fn]UN-Generalversammlung (2015). [/fn] der Vereinten Nationen verfolgen den wesentlichen Ansatz, eine nachhaltige Entwicklung auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene zu sichern. Die Staaten sind verpflichtet, im nationalen Kontext entsprechende Strategien zu entwickeln, Indikatoren für die Zielerreichung zu definieren, Maßnahmen zu ergreifen und für das Monitoring der Zielerreichung zu sorgen. Ein wesentliches Ziel der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – die die Umsetzung der SDGs für Deutschland ausbuchstabiert – ist es, eine friedliche und inklusive Gesellschaft zu fördern und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. [fn]Bundesregierung (2017), Kapitel C.II.16. [/fn] Das umfasst etwa die (materielle) Armutsbekämpfung, die Erhöhung der persönlichen Sicherheit, die Förderung der Gleichstellung oder eine größere Verteilungsgerechtigkeit. [fn]Ebd., S. 35ff. [/fn] Dafür will die Bundesregierung die Verantwortung für einen grundlegenden Umbau von Strukturen, Prozessen sowie Denk- und Handlungsweisen in den nächsten 15 Jahren übernehmen. [fn]Ebd., S. 22. [/fn] Eine wichtige Rolle komme aber auch den Ländern und Kommunen sowie der Zivilgesellschaft zu. [fn]Ebd., S. 46. [/fn]

In diesem Sinne bietet die Nachhaltigkeitsstrategie auf den ersten Blick einen ambitionierten Aufgabenkatalog für die Bundesregierung und die Länder sowie eine Orientierung für zivilgesellschaftliche Akteure. Schaut man sich die Indikatoren und entsprechenden Zielvorgaben im Detail und unter der Prämisse an, dass hier Antworten auf und Instrumente für die oben beschriebenen gesellschaftspolitischen Herausforderungen durch den Rechtspopulismus zu finden sind, vor denen Deutschland – und viele andere Länder Europas – stehen, kommen jedoch Zweifel auf. Die Indikatoren, die gerade aufgrund ihrer Messbarkeit ausgewählt wurden, bieten beispielsweise keine Antwort auf die Frage, wie Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung begegnet werden kann. Die Achtung der Menschenrechte bildet zwar einen Handlungsrahmen für die Entwicklung und Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie, wird aber durch die Indikatoren kaum operationalisiert. Wesentliche Ressourcen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Engagement und demokratische Teilhabe, finden sich im Bericht ebenfalls kaum wieder. Gerade diese Elemente sind es aber, die eine offene Gesellschaft für ihre nachhaltige Entwicklung benötigt und selbstbewusst verteidigen muss. Die strukturellen Rahmenbedingungen dafür müssen aber die staatlichen Akteure schaffen.

 

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Menschenrechte, Solidarität und demokratische Teilhabe als Antwort auf Rechtspopulismus?

Die Stärkung von Menschen- und Grundrechten kann eine Antwort auf die Bedrohung von rechts sein. Sie gelten für alle und sie sind es, die unveräußerliche Freiheiten sowie ein Recht auf Teilhabe und Schutz bieten. Die Meinungs- und Handlungsfreiheit der selbst ernannten „Retter des deutschen Volkes“ wird etwa regelmäßig dort begrenzt, wo die Menschenrechte des Einzelnen nicht nur sprichwörtlich mit Füßen getreten werden. In der Praxis ist dies bisweilen jedoch schwer zu beurteilen; das führt dann zur absurden Situation, dass von rechts Toleranz für Intoleranz gefordert und Gewalt mit Meinungsfreiheit verwechselt wird. Dabei sollte jedem klar sein: Dort, wo Menschen nicht mehr als Menschen akzeptiert werden, wo ihnen das Recht auf ein Leben in Würde und auf Gleichbehandlung abgesprochen wird, endet die Handlungsfreiheit. Das heißt aber auch, dass die Grund- und Menschenrechte die Bundesregierung und die Länder zu einem aktiven Handeln verpflichten, um den Schutz von Rechten präventiv abzusichern oder repressiv zur Geltung zu verhelfen.

Zuletzt hat Amnesty International in einem besorgniserregenden Bericht jedoch deutlich gezeigt, dass Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland von den Behörden strukturell und institutionell nicht ausreichend geschützt werden. [fn]Perolini (2016). [/fn] Dies galt für die Opfer des NSU, behält aber auch heute noch seine Gültigkeit, etwa wenn die sozialen Medien zu rechtsfreien Räumen des Hasses werden oder Justiz und Polizei rechte und rassistische Motive in den Ermittlungsverfahren nur unzureichend untersuchen. Trotz gegenteiliger Rechtslage gibt es weiterhin sog. Racial Profiling durch Polizeibehörden und selbst Fälle von Polizeigewalt kommen insbesondere im Kontext von Demonstrationen immer wieder vor. Der Zugang zur Justiz, wie es die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie als Ziel formuliert, wird so aber nur unzureichend gewährleistet. Dabei mangelt es nicht am Wissen um die Probleme. Es fehlt vielmehr immer noch an Konzepten und Instrumenten, die auf Bundes- und vor allem auf Länderebene dazu beitragen, dass die entsprechenden Behörden sich verändern – etwa Kontroll- und Monitoringmechanismen oder eine Kennzeichnungspflicht für Polizist/innen. Und man muss es deutlich sagen: Mit dem Fokus auf die Terrorismusbekämpfung und dem zuletzt verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Polizist/innen gegen Gewalt geht die Bundesregierung eher den Weg, die Behörden effektiv gegen Kontrolle und Kritik zu immunisieren. [fn]www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2017/04272017_Bundestag_Schutz_Vollstreckungsbeamte.html [/fn]

Menschenrechtlich mehr als bedenklich ist auch der anhaltende Trend zur Verschärfung der Gesetzeslage für Geflüchtete: Seit 2015 gab es nicht weniger als elf gesetzliche Änderungen, die zum Teil enorme Einschränkungen für Geflüchtete zur Folge hatten, sowie unzählige Forderungen nach gesetzlichen Verschärfungen von Seiten der Unionsparteien und anderen Teilen der Bundesregierung. [fn]Eine – nicht abschließende – Übersicht findet sich bspw. in Welzer (2017), S.41 ff. [/fn] Zwar wird in den Bereich der Integration investiert, insbesondere die Förderung von Spracherwerb und die Arbeitsmarktintegration seien hier genannt. Gleichzeitig werden viele Asylsuchende von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen, etwa durch das menschenrechtlich fragwürdige Konzept der guten und schlechten Bleibeperspektive im Asylverfahren. Viele dieser Menschen erhalten trotzdem einen Aufenthaltsstatus in Deutschland, haben aber durch den Ausschluss von Förderung viel Zeit verloren – das ist das Gegenteil von Chancengleichheit und Teilhabe. Ein solidarisches Aufnahmesystem in der EU scheitert bisher – auch deshalb, weil man lieber in Abwehr und Verhinderung von Flucht investiert als in Integration. An den europäischen Grenzen werden auch mit Duldung der deutschen Bundesregierung täglich Menschenrechtsverletzungen begangen. Zudem gewinnt zunehmend die Rückkehrpolitik an Bedeutung, wie etwa die menschenrechtlich nicht zu rechtfertigen Abschiebungen nach Afghanistan zeigen. [fn]Amnesty International et al. (2017). [/fn]

Diese beiden Beispiele machen leider deutlich, dass die Bundesregierung die Wunschliste der AfD durchaus gelesen hat. Natürlich waren und sind es auch soziale Ängste und die wachsende soziale Ungleichheit, die heute vermehrt Menschen dazu veranlasst, sich den Demagogen am rechten Rand zuzuwenden. Die explosive Mischung liegt aber darin, dass die Bundesregierung mit einer Politik im Sinne der rechten Demagogen reagiert, die zu einer schleichenden Normalisierung der Ideen selbst und damit auch der AfD führt. Diese und andere Rechtspopulisten vermögen es ausgesprochen gut, auf scheinbar einfache Art und Weise, soziale Probleme wie Wohnungsmangel oder Arbeitslosigkeit mit denen der Flüchtlingspolitik zu vermengen, mithin das Soziale zu ethnisieren und nach mehr Kontrolle und härteren Gesetzen zu rufen. Dadurch werden auf Kosten der Schwächeren Keile in die Gesellschaft getrieben. Es soll abgelenkt werden von dem, was tatsächlich politisch notwendig wäre, um die gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu meistern. Diese Herausforderungen politisch aktiv anzugehen, würde aber den Versuch bedeuten, die Spreizung zwischen niedrigen und hohen Einkommen und Vermögen zu verringern und mehr Chancengleichheit und wirtschaftliche und soziale Teilhabe aller Menschen zu ermöglichen. Hier zeigt sich jedoch enormer Aufholbedarf: Die Ungleichheit wächst in Deutschland seit Jahren, die Reallöhne für die unteren Einkommensklassen stagnieren, die Armutsquote ist auf einem Rekordhoch, die Altersarmut steigt. Risikogruppen der Armut sind vor allem Alleinerziehende, Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit niedrigem Qualifikationsniveau. Aber auch Ausländer/innen und Menschen mit Migrationsgeschichte gehören dazu. Sie sind dazu noch von rassistischer Diskriminierung betroffen. [fn]Der Paritätische Gesamtverband (2017). [/fn] So gesehen verpasst es die Bundesregierung, den sozialen Menschenrechten auch Geltung zu verschaffen, eine inklusive Gesellschaft zu fördern und für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen. Es wird Zeit, die Menschenrechte gegen die rechten Populisten, aber auch gegen die Aushöhlung durch staatliche Maßnahmen zu schützen. Dazu braucht es auch eine starke Stimme aus der Zivilgesellschaft.

Das (zivilgesellschaftliche) Engagement in Deutschland ist insbesondere durch die vielfältige Unterstützung von Geflüchteten seit 2015 sichtbarer geworden. Viele Studien und auch der zweite Engagementbericht der Bundesregierung zeigen seine vielfältige Natur und seine bedeutsame Wirkung [fn]BMFSFJ (2016). [/fn]. Ob im Sport oder in der Nachbarschaft, es wird deutlich, welch große Ressource eine lebendige Zivilgesellschaft sein kann. Durch das Engagement werden aber nicht nur die Zielgruppen, etwa Geflüchtete oder Kinder und Jugendliche, direkt unterstützt: Soziales und politisches Engagement kann solidarisch wirken und den Zusammenhalt in der Gesellschaft durch gegenseitiges Kennenlernen und Verständnis unterstützen – und wirkt so gegen Hetze von rechts, gegen Vorurteile, gegen Hass, gegen Gewalt. Damit Engagement aber wirken kann, sind mindestens vier Aspekte zu beachten:

1) Engagierte brauchen Stärkung: Die Bundesregierung, aber auch die Länder und Kommunen haben auf die Zuwanderung von Geflüchteten 2015 relativ schnell reagiert und Förderprogramme für die Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements für Geflüchtete ins Leben gerufen. Das hier so zielgerichtet Mittel in die Hand genommen wurden, ist sehr zu begrüßen. Um das enorme Potential des Engagements aber weiter zu unterstützen, bedarf es einer kontinuierlichen Förderung von Engagement – und das nicht nur im Bereich der Flüchtlingsunterstützung. Die Bundes- und Länderprogramme, etwa im Bereich der Demokratieförderung, der Gemeinwesenarbeit oder der Stärkung der Flüchtlingsunterstützung sind häufig durch kurzfristige Laufzeiten (Projektitis) und einen hohen bürokratischen Aufwand gekennzeichnet. Hier wäre es beispielsweise wichtig, eine längerfristige Förderung zu ermöglichen, um Planungssicherheit zu garantieren und Engagement in den verschiedensten Themenfeldern zu ermöglichen. Natürlich darf nicht Verantwortung von Fachkräften oder Verwaltung auf bürgerschaftliches Engagement abgewälzt werden. Die Daseinsvorsorge muss integraler Bestandteil der Regelförderung und Aufgabe von hauptamtlichen Fachkräften sein. Noch immer ist es beispielsweise so, dass die Flüchtlingssozialarbeit und die Asylverfahrensberatung in den meisten Bundesländern und Kommunen unterfinanziert oder schlicht nicht vorhanden sind. Hier füllen Ehrenamtliche die Lücken. Profitieren sollten auch und gerade diejenigen, die selbst Migrations- oder Fluchterfahrungen haben. Muslime oder Menschen mit Migrationsgeschichte engagieren sich sehr stark, dies wird aber bisher zu wenig wahrgenommen und gewürdigt.

2) Engagierte brauchen Anerkennung: Anerkennung besteht nicht nur in der Tatsache, dass es eine Förderung gibt und die Wertschätzung des Engagements öffentlich benannt wird. Auch strukturelle Defizite, die durch Ehrenamtliche erkannt werden, müssen durch die Verwaltung der Länder und bei legislativen Prozessen Berücksichtigung finden. Viele Engagierte in der Flüchtlingsunterstützung verzweifeln an völlig intransparenten und fehlerhaften Verfahren, [fn]Zu den Unzulänglichkeiten des Asylverfahrens siehe bspw. Der Paritätische Gesamtverband et al. (2016). [/fn] rechtsstaatlich bedenklichen Konzepten wie der Bleibeperspektive von Schutzsuchenden oder der teilweise mit Menschen- und Flüchtlingsrechten nicht zu vereinbarenden Abschiebepraxis. So aber wird Engagement geschwächt und letztlich verhindert.

3) Engagierte brauchen Schutz: Wer sich für Geflüchtete oder gegen Rassismus oder andere Formen von Diskriminierung engagiert, erlebt immer häufiger Anfeindungen und Gewalt. Hier müssen der Bund, aber vor allem auch die Länder und Kommunen, Verantwortung übernehmen und bessere Mittel und Wege finden, diese Menschen zu schützen und Angriffe von rechts als Gefahr für die ganze Gesellschaft zu begreifen.

4) Engagement benötigt Ressourcen: Studien [fn]Vgl. unter anderem BMFSFJ (2016). [/fn] und die Empirie zeigen, dass sich vor allem diejenigen engagieren, denen es „gut“ geht und die über genügend eigene Ressourcen verfügen, etwa über ein gutes Einkommen und ein starkes soziales Netzwerk oder einen hohen Bildungsstand. Das sind im Übrigen auch eher die Gruppen, die wählen gehen. Im Umkehrschluss heißt das aber, dass viele Menschen, die nicht über diese Ressourcen verfügen, sich nicht beteiligen können oder wollen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Teilhabe und soziale (Un)Gleichheit bedingen sich gegenseitig.

 

Fazit

Rechtspopulismus ist eine Gefahr für die Demokratie – nicht nur in Deutschland. Eine menschenrechtsbasierte Politik und eine solidarische Gesellschaft, die sich auf gute rechtliche Rahmenbedingungen stützen kann, können Antworten auf diese Gefahr sein und sich gegenseitig stärken. Die Nachhaltigkeitsstrategie bietet einen guten Rahmen, aber zu wenig Konkretes. Es wird zudem deutlich, dass die (fehlende) Operationalisierung der Ziele durch die bisherigen Indikatoren kaum Druck auf die Akteure der unterschiedlichen Ebenen zur besseren Achtung von Menschenrechten zulässt. Hier sollte unbedingt diskutiert werden, wie die Einrichtung weiterer Indikatoren (vor allem für SDG 16) eine Möglichkeit sein kann, die Aussagekraft über die Inklusivität der Gesellschaft besser abbilden zu können.

Deutlich wird aber auch, dass ein Umdenken stattfinden muss in der Gesellschaft: Wir alle müssen anerkennen, dass wir in einer Migrationsgesellschaft leben – und dass diese nun gestaltet werden will: Integration und Vielfalt gehören ins Grundgesetz, wir brauchen endlich ein Einwanderungsgesetz, die interkulturelle Öffnung (und das nicht nur in Bundesministerien und Behörden sowie auf der Länder- und Kommunalebene) muss Priorität erhalten – etwa nach dem Vorbild der Implementierung des Gender Mainstreaming seit 2000. Die strukturelle Diskriminierung von Flüchtlingen, insbesondere bei den Themen Gesundheit, soziale Leistungen, Unterbringung und Familiennachzug, darf nicht fortgeführt werden, weil sie eine frühzeitige Integration verhindert. Ergänzend bedarf es einer unabhängigen Asylverfahrensberatung und eines Asylverfahrens, das rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Zudem muss die Bekämpfung des Rassismus und anderer menschenverachtender Einstellungen auf allen Ebenen (wie es im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus auch vorgesehen ist) in Bund und Ländern, aber auch in der Gesellschaft selbst, konsequent fortgeführt werden. Hier gibt es noch enormen Nachholbedarf. Die Verteilungsfrage muss ebenso angegangen werden wie eine gerechte Steuer- und Sozialpolitik oder eine Rentenpolitik, die Antworten für die Geringverdienenden von heute bietet.

Nun kommt es darauf an, die inklusive Gesellschaft weiter zu entwickeln und nachhaltig zu stärken, die Herausforderungen anzunehmen und das Feld nicht den rechten Demagogen für ihre populistischen Antworten zu überlassen.

Stefan Paul Kollasch
Stefan Paul Kollasch
Name

Stefan Paul Kollasch

Stefan Paul Kollasch ist Projektreferent in der Migrations- und Flüchtlingsabteilung des Paritätischen Gesamtverbandes.

Christian Woltering
Christian Woltering
Name

Christian Woltering

Christian Woltering ist Hauptreferent beim Paritätischen Gesamtverband

Literature

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Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (2016): Die enthemmte Mitte – Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung/Otto Brenner Stiftung/Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gießen.

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Der Paritätische Gesamtverband (2017): Menschenwürde ist Menschenrecht – Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2017. Berlin.
www.der-paritaetische.de/schwerpunkte/armutsbericht/download-armutsbericht/

Häusler, Alexander (2016): Das neue Aufbegehren von rechts. In: neue caritas, Ausgabe 20/2016.
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Heitmeyer, Wilhelm (2011): Deutsche Zustände – Folge 10. Frankfurt/Main.

Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus – Ein Essay. Berlin.

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www.amnesty.de/2016/6/9/deutschland-laesst-die-opfer-rassistischer-gewalt-im-stich

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www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/170609_handreichung-miteinander.pdf

Staud, Toralf (2017): Warum diese Broschüre – und warum jetzt? In: AWO, DCV, Paritätischer Gesamtverband, Diakonie Deutschland und ZWST (Hrsg.): Miteinander gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung – Eine Handreichung der Wohlfahrtsverbände zum Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Berlin.
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