15—Mit der Bioökonomie zur Umsetzung der SDGs?

Schön gelb und Teil der Bioökonomie.
Schön gelb und Teil der Bioökonomie.
Aiwok (2010): Brassica napus (CC BY-SA 3.0)

Von Nikolaus Geiler

Auf den ersten Blick könnte die Umstellung von einer erdölbasierten auf eine Biomasse-basierte Wirtschaft als ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigeren Gesellschaft erscheinen. Wenn aber nachwachsende Rohstoffe in großem Umfang für die energetische Nutzung und für bio-basierte Produkte angebaut werden, werden sich die jetzt schon vorhandenen Konkurrenzverhältnisse beim Flächengebrauch und beim Wasserbedarf noch weiter verschärfen. Beim Vorrang der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung im Hinblick auf eine stark wachsende Weltbevölkerung sind somit die Nachhaltigkeitspotenziale der Bioökonomie stark begrenzt. Zudem ist eine Fortdauer von Menschenrechtsverstößen bei Anbau und Weiterverarbeitung von Biomassen zu befürchten. Wenn sich die Bioökonomie vorrangig auf biogene Abfallprodukte stützen soll, sind die Potenziale noch stärker begrenzt als bei der stofflichen und energetischen Verwendung von Anbaubiomasse.

 

Bioökonomie – kein Durchbruch in Sicht

Seit der Halbierung der Erdölpreise 2015 ist aus dem Hype um die Bioökonomie die Luft etwas raus. [fn]Zum Verfall der Erdölpreise im Jahr 2015 vgl. an Stelle vieler anderer Leisinger (2016). [/fn] Die Bioökonomie war das Versprechen, basierend auf nachwachsenden Rohstoffen ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem aufbauen zu können. Statt des Einsatzes von Erdöl, Erdgas und Kohle könnte man zunehmend Mais, Holzabfälle und andere Biomassen für die Produktion von Kunststoffen verwenden. Die EU-Kommission hatte bereits 2009 die Produktion von bio-basierten Produkten als „Leitmarktinitiative“ geadelt – soll heißen, dass die Bioökonomie im Vergleich zu anderen Branchen überproportional dazu geeignet wäre, signifikant zum Wachstum beizutragen, vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen viele Arbeitsplätze zu schaffen und der Europäischen Union zur technologischen Weltmarktführerschaft zu verhelfen. In der Folge investierte die EU Milliarden in die Förderung der Bioökonomie. [fn]Kritisch mit den Nachhaltigkeitsperspektiven der Bioökonomie beschäftigte sich in mehreren Aufsätzen Forum Umwelt & Entwicklung (2014). [/fn] Auch die Bundesregierung und mehrere Bundesländer machten sich die Bioökonomie zu Eigen. So gründete neben Nordrhein-Westfalen beispielsweise auch Baden-Württemberg ein Bioökonomie-Kompetenzzentrum und stattete es mit landeseigenen Forschungsgeldern aus. Der große Durchbruch ist bei der Weiterentwicklung der Bioökonomie und der Produktion von bio-basierten Produkten gleichwohl noch nicht zu erkennen. Denn die kunststoffproduzierende Industrie orientiert sich bei der Beschaffung ihrer Rohstoffe an den Einkaufspreisen – und da ist Erdöl derzeit immer noch deutlich preisgünstiger als biogene Rohstoffe.

 

Bioökonomie als Schlüssel in der SDG-Umsetzung?

Um der lahmenden Bioökonomie zu neuem Schwung zu verhelfen, wird nun mehr und mehr der Anschluss an die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) gesucht. Denn was könnte nachhaltiger sein, als eine Abkehr von fossilen Rohstoffen und eine Hinwendung zur Biomasse? Schon die Vorsilbe „Bio“ signalisiert, dass man mit der Bioökonomie auf dem Weg zu einem „grünen“ Wirtschaften im Einklang mit der Natur voranschreiten wird.

Und tatsächlich hat die Bioökonomie vielfältige Berührungspunkte mit den SDGs. Aber weder in der weltweiten noch in der nationalen SDG-Diskussion ist es bislang gelungen, diese tatsächlich in die SDGs einzupassen. Denn würde man den ernsthaften Versuch unternehmen, die Bioökonomie an den SDGs zu orientieren, würde sehr schnell deutlich, wie eng gezogen Grenzen für eine nachhaltige Bioökonomie sind.

Erkennbar würde, dass die Grenzen nicht nur ökonomisch von den derzeit immer noch vergleichsweise niedrigen Erdölpreisen gesetzt werden. Die Produktion und Weiterverarbeitung von Biomasse in einem Umfang, in dem man tatsächlich große Massen an bio-basierten Produkten produzieren könnte, würde auch an die Grenzen der Land- und Wasserverfügbarkeit sowie der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung stoßen. Die diesbezügliche Debatte wird seit Jahren von den Auseinandersetzungen um die Agrotreibstoffe („Biosprit“ und „Biodiesel“) bestimmt – Stichworte: „Teller, Trog oder Tank“.

Fast alle Argumente, die skeptisch gegen die Sinnhaftigkeit der Agrotreibstoffe ins Feld geführt werden, lassen sich auch auf die Verfügbarkeit von Biomasse zur Produktion von bio-basierten Produkten anwenden. Derzeit ist die Menge biogener Rohstoffen zur Herstellung von bio-basierten Produkten gegenüber der Biomasse zur Produktion von Agrotreibstoffen noch marginal. Aber in Abhängigkeit von den Preisrelationen zwischen fossilen und biogenen Rohstoffen könnten ggf. auch die Biomassen zur Herstellung von bio-basierten Produkten schnell in bedeutsame Größenordnungen aufrücken. Die Diskussionen über die Anwendung von Nachhaltigkeitsanforderungen auf biogene Rohstoffe sollten nicht erst dann beginnen. [fn]Für bio-basierte Produkte gibt es hierzu inzwischen die europäische Norm EN 16751, die entsprechende Nachhaltigkeitskriterien formuliert. Allerdings fallen diese Nachhaltigkeitsanforderungen deutlich hinter die internationale Norm ISO 13065 zurück, in der Nachhaltigkeitsanforderungen für energetisch nutzbare Biomasse aufgestellt worden sind. Bei beiden Normen ist bis jetzt völlig unbekannt, ob sie in der Praxis überhaupt eine Anwendung finden. [/fn]

 

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Unnachhaltiges Geschäft mit nachwachsenden Rohstoffen

Dabei wird es dann nicht nur um die Flächenkonkurrenz [fn]Fritsche (2016). [/fn] und die Verfügbarkeit von Wasser, sondern auch um Menschenrechtsfragen gehen. Denn warum sollte das Geschäft mit biogenen Rohstoffen anderen Mechanismen folgen als das mit mineralischen? So werden ins Handy und in andere Elektronikprodukte, in Windkraftgeneratoren und sonstige großtechnische Komponenten in der Regel die Produkte eingebaut, deren Rohstoffe sich auf dem Weltmarkt am preisgünstigsten beschaffen lassen. Das sind diejenigen Rohstoffe, bei deren Abbau und Weiterverarbeitung am Wenigsten auf ökologische Prämissen und Menschenrechtsbelange geachtet wird. Auch im weltweiten Geschäft mit biogenen Rohstoffen für die Agrotreibstoffproduktion hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass bei der Rohstoffbeschaffung (beispielsweise Palmöl) Ökologie und Menschenrechte allzu oft keine Rolle spielen.

Wenn also gilt, dass die SDGs auch bei der Beschaffung von Biomassen zur Herstellung von bio-basierten Produkten Anwendung finden, kommt Deutschland und der EU eine große Verantwortung zu. Diverse Bundesministerien (für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und für Wirtschaft und Energie) haben diesbezüglich äußerst interessante Forschungsprojekte in Auftrag gegeben. In der wirtschaftspolitischen Realität werden dann aber die Anforderungen doch nur auf äußerst bescheidenem Niveau durchgesetzt – wie das Beispiel der weichgespülten Nachhaltigkeitsanforderungen bei der Beschaffung mineralischer „Konfliktrohstoffe“ jüngst gezeigt hat. [fn]Vgl. www.ci-romero.de/presse_mappe_konfliktrohstoffe. [/fn]

 

Schwächen der Nachhaltigkeitszertifizierung

Am ehesten dürfte es gelingen, Nachhaltigkeitsanforderung in den Wirtschaftssektoren durchzusetzen, die als „verbrauchernah“ gelten. Beispielsweise kann es sich ein Waschmittelkonzern kaum noch leisten, palmöl-basierte Tenside ohne Nachweis eines nachhaltigen Anbaus in seinen Produkten einzusetzen. Allerdings steckt auch bei der Nachhaltigkeitszertifizierung von biogenen Rohstoffen der Teufel im Detail. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den Produktionsprozessen großer Chemiestandorte steht das Verhältnis des Inputs an (nachhaltigkeitszertifizierten) biogenen Rohstoffen in keinem festen Verhältnis zum Output. Der Gehalt an biogenen Rohstoffen in den Endprodukten kann entsprechend der hochkomplexen Produktionsanlagen und -bedingungen in einem weiten Verhältnis schwanken. In den Fällen ist es somit nicht möglich, auf einem Produktlabel anzugeben, dass das Produkt beispielsweise zu 65 Prozent aus biogenen Rohstoffen hergestellt worden ist. Während in der einen Produktionscharge nur ein Prozent des biogenen Inputs stecken kann, sind es in der darauf folgenden Charge des gleichen Endproduktes vielleicht 88 Prozent.

Die Chemiebranche wünscht sich deshalb die Anwendung des Massenbilanzverfahrens, wie man es beispielsweise auch von der Strom- und Gasrechnung kennt. Auf diesen Rechnungen wird angegeben, dass man beispielsweise 65 Prozent Ökostrom oder Biogas bezieht. Das ist allerdings nur ein rechnerischer Anteil. Tatsächlich können über den Strom- und Gaszähler völlig andere Anteile laufen. Das Massenbilanzverfahren wird auch bei vielen Fairtrade-Produkten angewandt – was bei Konsument/innen immer wieder zu Irritationen führt.

Dem Begehren der Industrie, das Massenbilanzverfahren auch bei biogenen Chemieprodukten zur Anwendung zu bringen, sind die EU-Kommission und die europäische Normungsorganisation CEN bislang nicht gefolgt. Die europäische Chemiebranche arbeitet deshalb derzeit an einem eigenen Industriestandard, der eine Herkunftsdeklaration von bio-biobasierten Produkten über das Massenbilanzverfahren erlauben soll.

 

Bioökonomie und die Grenzen des Wachstum

Auch wenn es über diese und andere Wege gelingen sollte, ökologische und menschenrechtliche Mindestanforderungen für die Bioökonomie festzuzurren, stellt sich weiterhin die Frage nach den Grenzen des Wachstums. Im Hinblick auf Agrotreibstoffe ist schon oft der Vergleich bemüht worden, dass die Substitution von erdölbasierten durch biogene Treibstoffe so ähnlich wäre, wie wenn ein Junkie von Heroin auf Methadon umsteigt. Dadurch würde sich an der Sucht nichts Grundlegendes ändern. Ebenso ergibt die Bioökonomie nur dann einen Sinn, wenn in den entwickelten Nationen die Produktion und der Konsum von Produkten – die man im weitesten Sinn als Wegwerfartikel bezeichnen könnte – signifikant heruntergeschraubt werden.

Die SDGs lassen sich in weltweiter und nationaler Perspektive nur realisieren, wenn prioritär der Warenumschlag reduziert wird – und erst sekundär kann es dann darum gehen, fossile Rohstoffe durch biogene Rohstoffe zu ersetzen. Um nur noch ein letztes Beispiel zu nennen: Nicht zuletzt durch den Klimawandel und das Bevölkerungswachstum wird in vielen Regionen, künftig nicht mehr genügend Wasser zur Verfügung stehen, um alle Ansprüche (Nahrungsmittel versus biogene Rohstoffe) befriedigen zu können. [fn]Vgl. Geiler (2014). [/fn] Zumal der Import von Übersee-Biomasse für bio-basierte Produkte den ohnehin viel zu hohen Konsum an „virtuellem Wasser“ in Deutschland noch weiter steigern würde. [fn]Vgl. Swars/Hess (2016). [/fn] Biomasse wird demzufolge immer nur einen kleinen Teil der fossilen Rohstoffe ersetzen können, die heutzutage in viel zu großem – und gar noch weiter wachsenden – Umfang zur Deckung der vermeintlichen oder tatsächlichen Konsumansprüche verarbeitet werden. Auch wenn man ständig der „Gängelung des mündigen Bürgers“ bezichtigt wird, bleibt den Vertreter/innen der Zivilgesellschaft nichts anderes übrig, als auch gegenüber der Politik auf diesen essenziellen Knackpunkt in der Diskussion über Bioökonomie und SDGs immer wieder hinzuweisen. [fn]Vgl. auch Fritsche/Eppler (2016). [/fn]

Nikolaus Geiler
Nikolaus Geiler
Name

Nikolaus Geiler

Nikolaus Geiler ist Sprecher des AK Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz.

Literature

Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) (2016): Basisdaten Biobasierte Produkte, April 2016. Gülzow-Prüzen.
www.fnr.de/fileadmin/allgemein/pdf/broschueren/Basisdaten_biobasierte_Produkte-2016_web.pdf

Forum Umwelt & Entwicklung (Hrsg.) (2014): Goldgräberstimmung – Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen. Rundbrief 4/2014. Berlin.
http://forumue.de/wp-content/uploads/2015/04/FORUM_Rundbrief_IV-2014.pdf

Fritsche, Uwe R. (2016): Folien zum Vortrag „Bioökonomie und globale Landnutzung: Ergebnisse von Globallands (und mehr)“. Zur Präsentation bei der NABU-Tagung "Wie finden wir zu einer gerechten Bioökonomie? Bioökonomie im Spannungsfeld von globalen Entwicklungszielen und nationalen Entwicklungstrends“, 17.-19. August 2016, Insel Vilm.

Fritsche, Uwe R./Eppler, Ulrike (2016): Stellungnahme zum Entwurf der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) - Neuauflage 2016 vom 31. Mai 2016. Darmstadt/Berlin: IINAS.
www.iinas.org/tl_files/iinas/downloads/IINAS_2016_Stellungnahme-DNS-update.pdf

Geiler, Nikolaus (2014): Unproblematisch und alternativlos? - Bioökonomie und die Begrenztheit der Wasserressourcen. In: Forum Umwelt & Entwicklung (Hrsg.) (2014), S. 15f.

Leisinger, Christof (2016): Feiglingsspiel am Erdölmarkt – Stark fallende Preise zeigen, dass Erdöl alles andere als knapp ist. Produzenten mit tiefen Kosten fördern viel, um teurere aus dem Markt zu drängen. In: Neue Zürcher Zeitung vom 08.01.16, S. 12.
www.nzz.ch/meinung/feiglingsspiel-am-erdoelmarkt-1.18673678

Swars, Helge/Hess, Stefanie (2016): Der deutsche Wasserverbrauch global – Wasserfußabdruck und virtuelles Wasser. In: Forum Umwelt & Entwicklung/Forum Menschenrechte/VENRO: Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda 2016 – Noch lange nicht nachhaltig. Bonn/Berlin, S. 59-63.
www.2030report.de/de/bericht/kapitel/ii9-der-deutsche-wasserverbrauch-global-wasserfussabdruck-und-virtuelles-wasser