7—Kohleausstieg – nur sozialverträglich

Wie wäre ein „Kohlekonsens“ mit den Beschäftigten möglich?
Welche Zukunft haben die Beschäftigten in den deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerken, die derzeit in Deutschland noch rund 40 Prozent des Stroms erzeugen?“
Welche Zukunft haben die Beschäftigten in den deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerken, die derzeit in Deutschland noch rund 40 Prozent des Stroms erzeugen?“
Craebby Crabbson/Flickr (2015): Kraftwerksidylle (CC BY-NC 2.0)

Von Reinhard Klopfleisch

Das Pariser Klimaschutz-Abkommen ist politische Grundlage für die Bekämpfung des Klimawandels. Der Anstieg der mittleren Temperatur auf der Erde soll auf maximal 2 Grad, möglichst aber auf 1,5 Grad begrenzt werden. Das Abkommen ist inzwischen ratifiziert, auch Deutschland ist damit verbindliche Verpflichtungen eingegangen. Soviel ist allgemein bekannt. Weniger bekannt: Das Pariser Abkommen fordert, den Wandel als just transition auszugestalten: als sozial „gerechten“ Übergang von der alten zur neuen, klimaverträglichen Weltwirtschaft. Decent work soll geschaffen werden, also Arbeit, die menschenwürdig ist. Doch was geschieht mit den Beschäftigten, die durch den Wandel ihre Arbeit verlieren?

Auch die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der UN spiegeln diesen Antagonismus. Ganz wesentlich fordern sie einen schnellen Wandel weg von den fossilen Energieträgern hin zu den Erneuerbaren Energien, auch um die Klimaziele zu erreichen. Andererseits soll „gute Arbeit“, die den Beschäftigten ein gutes Einkommen und gute Arbeitsbedingungen ermöglicht, für alle gelten. Auch für die Beschäftigten der Kohleindustrie?

 

Strukturwandel ohne Widersprüche?

Natürlich bieten die neuen umwelt- und klimafreundlichen Energien eine große Anzahl von qualifizierten, tendenziell auch guten Arbeitsplätzen. Doch wächst mit der Beschleunigung des Kohleausstieges, den zur Erreichung der Klimaziele insbesondere Umweltverbände, aber auch viele aus der Wissenschaft fordern, das Risiko für viele Beschäftigte in den „alten“ Bereichen wie den Kohlebetrieben, am Ende ohne Arbeit und ausreichende soziale Absicherung da zu stehen. Es wäre blauäugig anzunehmen, dass der Strukturwandel ganz ohne Widersprüche verlaufen könnte. Entsprechend könnten Gewerkschaften versucht sein, nach Kräften Geschwindigkeit aus dem Ausstieg aus den fossilen Energien heraus zu nehmen. Ein Konflikt, der nicht einseitig entschieden werden kann.

Unter Berücksichtigung der Situation der Beschäftigten nähert sich auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Frage, wie eine sozial und ökologisch gleichermaßen verantwortliche, wirtschaftliche Entwicklung sicher zu stellen wäre. [fn]ILO (2015). [/fn] Der anspruchsvolle Übergang gelinge laut ILO nur mittels wachsender Beschäftigung mit hoher Qualität von Lohn- und Arbeitsbedingungen. Nur mit guten, ausreichend dotierten und langfristig sicheren Arbeitsplätzen ist eine umwelt- und klimaverträgliche Wirtschaft aufzubauen. Doch auch die ILO hat keine Antwort auf die Frage: Wie kann konkret denjenigen, die durch die Umgestaltung arbeitslos zu werden drohen, soziale Sicherheit garantiert werden, ohne Einbußen an Einkommen und Arbeitsqualität? Denn natürlich sind viele Arbeitsplätze, auch gut bezahlte mit guten Arbeitsbedingungen, nicht mit den zukünftigen Anforderungen vereinbar.

 

Beschäftigte in deutschen Kohlekraftwerken

Welche Zukunft haben die Beschäftigten in den deutschen Braun- und Steinkohlekraftwerken, die derzeit in Deutschland noch rund 40 Prozent des Stroms erzeugen? Eine Gewerkschaft wie ver.di, die sich zum Klimaschutz bekennt, aber auch zuständig ist für die Energie-Beschäftigten, kommt nicht umhin, sich dieser Frage zu stellen. Der Klimaschutzplan der Bundesregierung strebt schließlich an, dass Deutschland bis 2050 weitgehend CO2-frei werden soll. Und bereits bis 2030, so sieht es die verbindliche Verpflichtung im Rahmen des Pariser Abkommens vor, soll der Ausstoß an Klimagasen um 40 Prozent zurückgehen.

ver.di müsste diese Ziele in Frage stellen, wollte sie ihren Mitgliedern glaubwürdig erklären, ihre Arbeitsplätze seien dauerhaft sicher. Doch eine derartige Strategie führte doppelt in die Irre: Sie würde weder den Beschäftigten gerecht, noch wäre sie klimapolitisch vertretbar. Denn klar ist: Die vorhandenen Kohlekraftwerke werden womöglich schon vor dem Ende ihrer technischen Lebensdauer vom Netz gehen müssen. Und eine solche Entwicklung, wie auch immer sie genau verläuft, wird die Beschäftigung in den deutschen Kohlekraftwerken kontinuierlich reduzieren. Damit sind wir mitten im Problem: Wie ein sozial gerechter Übergang für die dort Beschäftigten auszugestalten wäre.

 

Wie kann ein sozialverträglicher Kohleausstieg aussehen?

Da hilft nur die Flucht nach vorn. Als Gewerkschaft muss ver.di darauf bestehen, diesen überwiegend hochqualifizierten Kolleginnen und Kollegen auch „nach der Kohle“ eine Perspektive ohne materielle Einbußen zu eröffnen, sei es durch vorgezogenen Ruhestand bei vollen Bezügen, sei es – und das ist das vorrangige Ziel – durch geeignete Umschulung und Weiterbildung unter anderem für Tätigkeiten beispielsweise im Bereich der erneuerbaren Energien.

Um wie viele Menschen handelt es sich, was muss konkret getan werden und wie viel Geld ist erforderlich, um den Übergang sozialverträglich gestalten zu können – und, (wie) kann das finanziert werden? Darauf hatten bisher weder Wissenschaft noch Politik Antworten. Die Gewerkschaft ver.di hat daher bei der enervis energy advisors GmbH ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben, um zu berechnen, wie ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Kohleverstromung ohne materielle Einbußen für die Beschäftigten in den Kraftwerken in den nächsten Jahrzehnten konkret zu bewältigen wäre. [fn]enervis (2016). [/fn]

In der Studie wurden drei Szenarien über die Entwicklung des Kraftwerksparks untersucht. Sie unterscheiden sich jeweils in den Annahmen über die Lebensdauer der Kohlekraftwerke. Allen ist gemeinsam, dass keine neuen Braun- und Steinkohlekraftwerke in Betrieb gehen, sie schreiben – entsprechend der Prämisse Klimaschutz – allesamt einen mindestens langfristigen Ausstieg aus der Kohleverstromung vor, wenn auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit.

Das Retrofitszenario unterstellt eine – eher unwahrscheinliche – Entwicklung, in der die Kohlekraftwerke ihr technisches Laufzeitpotenzial weitgehend ausschöpfen (Steinkohle 50, Braunkohle 60 Jahre). Ihre mittlere installierte Leistung zwischen 2016 und 2050 betrüge dann noch rund 32 Gigawatt (GW). Das Referenzszenario sieht demgegenüber einen ambitionierten Rückgang der Kohlekapazitäten mit einer Halbierung der installierten Leistung der Kohlekraftwerke bis 2030 und einem Ausstieg bis 2050 vor. Das erfordert politische Rahmensetzungen, reicht aber wahrscheinlich nicht aus, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Diese Anforderung wird forciert im dritten, dem sogenannten Konsensszenario, das sich an einen von der Agora Energiewende vorgeschlagenen Kohlekonsens anlehnt. [fn]Agora Energiewende (2016). [/fn] Agora, eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation, hat den Vorschlag so gestaltet, dass die nationalen Klimaschutzziele, bezogen auf Stromerzeugung, mittelfristig erreicht werden. Konkret sieht es vor, dass Braun- und Steinkohlekraftwerke bis 2040 in der Reihenfolge ihres Alters nacheinander abgeschaltet werden.

 

Welche Auswirkungen auf die Beschäftigung im Kraftwerksbetrieb sind zu erwarten?

In allen Szenarien erfolgt der Rückgang an Kraftwerksleistung schneller, als die dort Beschäftigten altersbedingt in Rente gehen. Damit entsteht ein Beschäftigungsüberschuss, der – rein rechnerisch – in einen Sozialpool überführt wird. Aus dessen Größe bestimmt sich dann, welcher jährliche Finanzbedarf besteht, um diesen Menschen weiterhin gesicherte Lebensverhältnisse zu ermöglichen.

2016 waren etwa 15.000 Mitarbeiter/innen in den deutschen Kohlekraftwerken beschäftigt. [fn]Nicht berücksichtigt sind die Beschäftigten im Braunkohletagebau, wo noch einmal Mitarbeiter/innen in einer ähnlichen Größenordnung arbeiten. [/fn] Bereits im Retrofit-Szenario geht die Beschäftigung deutlich zurück und liegt im Mittel bei knapp 9.000. Schon hier werden deutlich weniger Beschäftigte benötigt, als vorhanden sind. Diese Entwicklung verstärkt sich im Referenzszenario und noch einmal deutlich im Konsensszenario. So sinkt die mittlere Beschäftigung auf knapp 6.000 beziehungsweise auf nur noch 4.000.

Die Zahlen zeigen eindrucksvoll den Einfluss energiepolitischer Entscheidungen auf die Beschäftigungssituation. So sinkt die mittlere Beschäftigung im Konsensszenario gegenüber dem Retrofitszenario um mehr als 50 Prozent. Für alle diese Menschen gilt es nun, einen sozial gerechten Übergang zu organisieren.

 

Was kostet der sozialverträgliche Kohleausstieg?

Zu berechnen war, welche Sozialplankosten entstünden, wenn man die Beschäftigten so einsetzte, als ob der in den Szenarien abgebildete Rückgang der Kohlekapazitäten ausbliebe und sie mithin bis zur Rente keinerlei materielle Einbußen haben sollten. Präziser: Alle Beschäftigten des Sozialpools sollen nach der Stilllegung des jeweiligen Kohlekraftwerks eine Gehaltsfortzahlung bis zum Renteneintritt mit 67 Jahren erhalten – inklusive typischer Zuwächse entsprechend dem Anstieg der Tarifgehälter in den letzten Jahren. So entstand eine Schätzung der maximalen gesellschaftlichen Kosten, wenn nach der Stilllegung für keinen Beschäftigten ein neuer Arbeitsplatz gefunden werden könnte.

Selbst im Retrofit-Szenario liegen die mittleren Aufwendungen bei 115 Millionen Euro pro Jahr (in Summe rund 4 Milliarden). Diese steigen auf 341 Millionen Euro pro Jahr im Referenzszenario (in Summe rund 12 Milliarden) und auf 499 Millionen Euro pro Jahr im Konsensszenario (in Summe rund 17,5 Milliarden).

Praktisch ist freilich davon auszugehen, dass die Beträge deutlich niedriger ausfallen, weil eine Gehaltsfortzahlung bis zum Renteneintritt gleichsam den worst case für die weitere Arbeitsbiografie der Beschäftigten darstellen würde. Viele der größtenteils hoch qualifizierten Mitarbeiter/innen werden schnell eine andere Beschäftigung finden – damit sinkt der Finanzbedarf deutlich ab. Um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, sollten andererseits die berechneten Mittel auch für aktive Sozialplanmaßnahmen wie Fortbildung und qualifizierte Arbeitsvermittlung verwendet werden können.

 

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Wie sollen die Mittel aufgebracht werden?

ver.di geht davon aus, dass mit einer derartigen konzertierten Aktion allenfalls die Hälfte der berechneten Mittel tatsächlich benötigt würde. Das ver.di-Konzept sieht unterschiedliche Möglichkeiten vor, um diese Mittel aufzubringen. Sachgerecht wäre es, die Sozialplankosten aus den Erlösen der Versteigerung von CO2-Zertifikaten zu finanzieren. Nimmt man die den enervis-Modellen zu Grunde liegenden Annahmen über die Entwicklung des CO2-Preises, wird dies möglich sein. Diese unterstellen, dass der jährliche CO2-Preis in den nächsten Jahren deutlich ansteigen wird, von derzeit weniger als 10 Euro pro Tonne auf 24,80 Euro 2030 und auf 48,20 Euro 2050. Dann reichte ein Anteil von weniger als 10 Prozent aus, um die Sozialplankosten gegenzufinanzieren.

Nimmt man die Berechnungen des Konsensszenarios als Maßstab, liegen die Kosten bei einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr. Damit erreichen sie sicherlich eine relevante Größenordnung – doch sind sie in Relation zu den Gesamtkosten des Stromsystems von jährlich 60 bis 70 Milliarden Euro begrenzt.

Diesen Zahlungen stände ein „hochrelevanter Gegenwert“ gegenüber, wie Julius Ecke von enervis betont: „Ein Mechanismus zur verbindlichen Finanzierung der Sozialplankosten würde eine Basis schaffen, damit die in den Kraftwerken arbeitenden Menschen den Weg des Kohleausstieges mittragen können. Er wäre damit Garant für eine reibungsarme, sozialverträgliche und konsensuale Umsetzung eines Kohleausstieges – und somit auch ein wichtiger Beitrag zur Dekarbonisierung der Energiewirtschaft und zur Erreichung der Klimaschutzziele.“ [fn]Ecke et.al. (2016), S. 20. [/fn]

Aus Sicht der Gewerkschaft ver.di gehört ein derartiger Vorschlag auf einen runden Tisch, der eine konsensuale Weiterentwicklung des Elektrizitätssystems unter Einhaltung der Klimaschutzziele vereinbaren müsste. Er sollte spätestens nach der Bundestagswahl 2017 eingerichtet werden, um den Beitrag, den die Energiewirtschaft zur Einhaltung der Klimaschutzvorgaben leisten kann, unter allen Beteiligten fest zu legen – sozialverträglich.

Reinhard Klopfleisch
Reinhard Klopfleisch
Name

Reinhard Klopfleisch

Reinhard Klopfleisch ist Referatsleiter für Energiepolitik beim Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di.

Literature

Agora Energiewende (2016): Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens. Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors (Kurzfassung). Berlin.
www.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2015/Kohlekonsens/Agora_Kohlekonsens_KF_WEB.pdf

Ecke, Julius et.al. (2016): Transformationspfade und beschäftigungspolitischer Flankierungsbedarf. In: ew 11/2016, S. 20.

enervis (2016): Sozialverträgliche Ausgestaltung eines Kohlekonsenses (im Auftrag von ver.di). Berlin.
https://ver-und-entsorgung.verdi.de/++file++5800cc3e7713b8528b9bcf82/download/Verdi_Gutachten%20Soz…

ILO (2015): Guidelines for a just transition towards environmentally sustainable economies and societies for all. Genf.
www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_emp/---emp_ent/documents/publication/wcms_432859.pdf