12—Staatliche Leitplanken für nachhaltigen Konsum sind notwendig

Einkaufswagen
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gravitat-OFF/Flickr (2008): Bio-Einkaufswagen? (CC BY 2.0)

Von Kathrin Krause

Nachhaltiger Konsum ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesregierung muss politische Rahmenbedingungen schaffen und die wichtigsten Akteure auf dem Markt – Hersteller und Handel – in die Verantwortung nehmen. Staatliche Mindestkriterien für eine sozial- und ökologisch verantwortliche Produktion sind notwendig, damit sich Verbraucher/innen wie auch Produzent/innen am Markt orientieren können.

Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 durch die Vereinten Nationen (UN) im September 2015 hat nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren einen neuen Schub erhalten. Denn SDG 12 fordert, „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen“ und setzt nachhaltigen Konsum damit auf die internationale wie auch nationale politische Agenda.

 

Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 durch die Vereinten Nationen (UN) im September 2015 hat nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren einen neuen Schub erhalten. SDG 12 fordert, „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen“ und setzt nachhaltigen Konsum damit auf die internationale wie auch nationale politische Agenda.

Die Bundesregierung listet in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie einige Maßnahmen auf, die Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen sollen. Im Folgenden werden vier Aktivitäten der Bundesregierung aus Verbraucherperspektive bewertet.

 

Umsetzung eines Nationalen Programms für nachhaltigen Konsum (NPNK) und Einrichtung eines Kompetenzzentrums nachhaltiger Konsum

Seit Februar 2016 ist das NPNK [fn]Vgl. www.bmub.bund.de/themen/wirtschaft-produkte-ressourcen-tourismus/produkte-und-umwelt/produktbereich…. [/fn] „Teil der Gesamtstrategie der Bundesregierung für mehr Nachhaltigkeit“ und zentrales Programm der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung für die Umsetzung von SDG 12. Das NPNK umfasst 6 Konsumbereiche, die aus Sicht der Bundesregierung das größte Potential für Entlastungen haben: Mobilität, Ernährung, Wohnen und Haushalt, Büro und Arbeit, Bekleidung sowie Tourismus und Freizeit. Daraus ergeben sich 170 Einzelmaßnahmen, die in den kommenden Jahren durchgeführt werden sollen.

Hehre Absichten sind erkennbar und die ressortübergreifende Arbeit dreier Ministerien zum NPNK scheint ein Meilenstein nach jahrelanger ministerieller „Siloarbeit“ zu sein. Doch bei Lippenbekenntnissen und sich selbst feiernden Veranstaltungen darf es nicht bleiben. Das NPNK braucht Konkretisierung, Verbindlichkeit und finanzielle Mittel für die Umsetzung. Es scheint, als hätte die Bundesregierung ein großes „Recycling“ innerhalb ihrer Maßnahmenpläne durchgeführt. Kaum eine der Einzelmaßnahmen ist neu in das Programm gekommen, stattdessen wurden bereits laufende Maßnahmen zu einem Programm gebündelt.

Um in den sechs genannten Konsumbereichen einen gesellschaftlichen Wandel zu erzielen, muss nachhaltiger Konsum einen höheren politischen Stellenwert bekommen. Zentral ist die ressortübergreifende Verankerung: Insbesondere das Wirtschaftsministerium (BMWI) als Treiber ökonomischen Fortschritts und unter anderem zuständig für die Ökodesign-Verordnung, das Ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie das Verkehrsministerium (BMVI) müssen sich aktiv mit ihren Kompetenzen einbringen. Dazu zählt auf der einen Seite die sukzessive Eliminierung nicht-nachhaltiger Politikmaßnahmen sowie auf der anderen Seite die ideelle und auch finanzielle Unterstützung nachhaltiger Politikinstrumente.

Am 23. März 2017 wurde „feierlich“ der Startschuss für ein Kompetenzzentrum Nachhaltiger Konsum im Umweltbundesamt gegeben. Physisch betreten lässt es sich nicht, denn bisher gibt es mangels Haushaltstitel, Personal und konkreten Arbeitsaufgaben ein Kompetenzzentrum nur auf dem Papier. [fn]http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/113/1811359.pdf S. 8; Frage 10. [/fn] Schade, denn ein Kompetenzzentrum ist sehr begrüßenswert. Besteht doch so die Möglichkeit, die vielen Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu bündeln und Kohärenz zwischen den einzelnen Initiativen herzustellen sowie den Wissenstransfer und Austausch zu fördern. Doch bisher ist vieles noch unklar, zum Beispiel wie das Thema auf allen gesellschaftlichen Ebenen von der Bundes- bis auf die kommunale Ebene thematisiert werden soll, um auch eine gesellschaftliche Diskussion in Gang zu setzen. Mit Hilfe niederschwelliger Informations- und Beratungsangebote könnten Verbraucher/innen hierzu befähigt werden. Bereits engagierte Bürgerinnen und Bürger sollten bei ihren Aktivitäten für nachhaltigen Konsum unterstützt und neue Zielgruppen an nachhaltigen Konsum herangeführt, begeistert und gewonnen werden. [fn]Das Projekt MehrWert NRW der Verbraucherzentrale NRW leistet diese Arbeit und zeigt

Nutzen und Trends klimaverträglicher Lebensstile auf. Die Haushalte in Nordrhein-Westfalen sollen motiviert werden, in den Bereichen Ernährung, Mobilitätsverhalten und ressourcenschonender Konsum einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Lebensmittel sind zu wertvoll, um sie wegzuwerfen. Rohstoffe sind erschöpflich. www.verbraucherzentrale.nrw/mehrwert. [/fn]

 

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Unterstützung und Förderung einer gesellschaftlichen Diskussion über nachhaltige Lebensstile

Eine gesellschaftliche Debatte über nachhaltige Lebensstile ist unabdingbar, um eine sozial-ökologische Transformation wie in der Agenda 2030 beschrieben zu erreichen. Insbesondere für SDG 12 gilt „Leave no one behind“. Die Auswirkungen unseres Konsums müssen unabhängig von sozialem Status und bisherigem Umweltverhalten der Verbraucher/innen diskutiert werden.

Nachhaltiger Konsum entscheidet auch über Generationengerechtigkeit. Politische Rahmenbedingungen sollten eine inklusive Gesellschaft fördern, die alle Verbrauchergruppen einschließlich Senioren, Kindern, Behinderten, sozial-schwachen Menschen sowie Migranten/innen und Geflüchteten die gleiche Teilhabe und Zugang zum gesellschaftlichen Leben ermöglichen und niemanden schlechter stellen oder diskriminieren. Soziale Ungleichheit und damit die Ungleichheit in der Kaufkraft in Deutschland müssen berücksichtigt werden. Verletzliche Verbraucher/innengruppen [fn]“A consumer, who, as a result of socio-demographic characteristics, behavioural characteristics, personal situation, or market environment: Is at higher risk of experiencing negative outcomes in the market; Has limited ability to maximize his/her well-being; Has difficulty in obtaining or assimilating information; Is less able to buy, choose or access suitable products; or Is more susceptible to certain marketing practices.” http://ec.europa.eu/consumers/consumer_evidence/market_studies/docs/vulnerable_consumers_approved_2… [/fn] handeln zum Teil unbewusst „umweltfreundlicher“ – entsprechend ihrer (geringen) Kaufkraft. Wogegen die als aufgeklärt zu bezeichnenden Verbraucher/innen häufig umweltbewusst sind, allerdings ressourcenintensive Lebensstile aufweisen. [fn]Vgl. Diekmann/Preisendörfer (2008) sowie Kleinhückelkotten/Neitzke/Moser (2016). [/fn] Die negativen Externalitäten, die ressourcenintensive Lebensstile mit sich bringen, werden gesamtgesellschaftlich getragen und sind somit unfair verteilt.

Innerhalb einer gesellschaftlichen Debatte zu nachhaltigem Konsum darf das Thema Suffizienz nicht ausgespart werden. Nachhaltiger Konsum ist ein ambivalenter Begriff, der „verbrauchen“ und „bewahren“ in einem Konzept vereint und einen Konsum- und Lebensstil meint. Die Umsetzung des Konzepts Nachhaltigkeit basiert auf drei Strategien: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Bisher fokussieren Politik-, Bildungs- und Forschungsansätze vorrangig auf Strategien der Effizienz und Konsistenz im Kontext der nachhaltigen Entwicklung. [fn]Vgl. Lukas/Liedtke/Baedeker/Welfens (2014). [/fn] Allerdings können Strategien zur Effizienz Rebound-Effekte verursachen, die den Ressourcenverbrauch vergrößern. Suffizienz ist unbequem, aber erforderlich, wenn nachhaltiger Konsum effektiv vorangetrieben werden soll. [fn]Diese Position unterstützt auch ein offener Brief von Nachhaltigkeitswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern anlässlich der „Nationalen Konferenz: Umsetzung nachhaltiger Konsum in Deutschland“ am 23. März 2017 in Berlin www.aloenk.tu-berlin.de/menue/offener_brief_np_nk/. [/fn] Politische Maßnahmen zur Förderung nachhaltigen Konsums müssen daher auch Rahmenbedingungen für suffiziente Lebensstile schaffen und diese fördern.

 

Glaubwürdige Siegel und Label

Für Verbraucher/innen bietet der Siegeldschungel mit über 1.000 Siegeln keine Orientierung. Staatliche Mindestkriterien für eine sozial und ökologisch verantwortliche Produktion müssen etabliert werden. Nur dann können sich Produzent/innen und Verbraucher/innen orientieren. Wir brauchen aber auch eine Aufsicht, die das Einhalten der Kriterien prüft – sonst sind Siegel eher ein buntes Feigenblatt als Nachweise für Nachhaltigkeit und Fairness. Das EU-Bio Siegel für Lebensmittel ist vorbildlich: Die bewährte EG-Öko-Verordnung schreibt Mindeststandards für die ökologische Produktion vor. Nur wenn diese Standards eingehalten werden, dürfen Produkte das grüne Blatt mit den Eurosternen tragen und sich als „biologisch erzeugt“ bezeichnen.

Mindestkriterien, die Initiativen wie das von der Bundesregierung initiierte Portal siegelklarheit.de festgelegt hat, haben keine Auswirkungen auf die Siegellandschaft. Es sind keine Kriterien, die die Produktion von Gütern sowie Nutzung und Auslobung von Nachhaltigkeitseigenschaften verändern. Zudem listet siegelklarheit.de nur Siegel, die eine „positive Bewertung“ also einen „Smiley“ erhalten haben. Der Siegeldschungel wird dadurch nicht gelichtet. Die schwachen bzw. ambitionslosen Siegel, die für Verwirrung auf dem Markt sorgen, werden so nicht eliminiert.

Der Blaue Engel und das europäische Umweltzeichen hingegen sind freiwillige staatliche Umweltzeichen, die Kriterien vorgeben. Es bestehen um die 150 Vergabegrundlagen für Produkte. In den Regalen der Geschäfte stechen sie leider nicht heraus. Deshalb muss die Politik auch Anreizmechanismen für Unternehmen schaffen, damit häufiger nach ökologischen Kriterien produziert wird und sich der Blaue Engel öfter in den Regalen wiederfindet.

 

Einführung einer Nachhaltigkeitsberichterstattung für größere Unternehmen

Der Bundestag hat im März 2017 ein Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung von Unternehmen verabschiedet. Damit setzte die Bunderegierung die so genannte CSR-Richtlinie der Europäischen Union mit mehrmonatiger Verspätung um. [fn]www.vzbv.de/meldung/gesellschaftliche-verantwortung-von-unternehmen-endet-als-minimalkompromiss [/fn] Leider hat Deutschland mit dem Gesetz auf die Möglichkeit verzichtet, weitergehende Maßnahmen im deutschen Recht zu verankern. Andere EU-Mitgliedsstaaten wie Schweden oder Dänemark haben die Gelegenheit genutzt und die CSR-Richtlinie mit umfassenderen Pflichten für Unternehmen umgesetzt.

Das Gesetz verpflichtet deutsche kapitalmarktorientierte Unternehmen ab 500 Beschäftigten dazu, in Berichten ihre „Strategien, Risiken und Ergebnisse“ in den Bereichen Soziales und Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte sowie Umwelt und Korruption, darzulegen. In Deutschland sind etwa 550 Unternehmen betroffen, also ein Bruchteil derer, mit denen Verbraucher/innen im Alltag Kontakt haben. Nicht-Kapitalmarktorientierte Firmen wie Aldi, Dr. Oetker oder Würth mit Milliardenumsätzen und erheblichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft fallen durch das Raster.

 

Fazit

Um SDG 12 „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherzustellen“ bis 2030 zu erreichen, müssen weiterreichende Maßnahmen als die bestehenden ergriffen werden. Nachhaltiger Konsum sollte vor allem von der Produktionsseite her gedacht werden, einhergehend mit veränderten Marktstrukturen, die nachhaltigen Konsum für Verbraucher/innen ermöglichen und einfach machen. Zurzeit stehen die Verbraucher/innen im Fokus und in der Verantwortung. Durch ihre Konsumentscheidung sollen sie einen Missstand am Markt beseitigen, den die Politik sich nicht anzugehen traut. Verbraucher/innen sind wichtige Marktakteure, aber die Verantwortung für Menschenrechte, Ressourcennutzung und Ökologie darf nicht in den Supermarkt oder das Einkaufszentrum verschoben werden.

Kathrin Krause
Kathrin Krause
Name

Kathrin Krause

Kathrin Krause ist Referentin für nachhaltigen Konsum beim Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Literature

Diekmann, Andreas/Preisendörfer, Peter (2008): Umweltbewusstsein und Umweltverhalten in Low und High-Cost-Situationen. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 27, Nr. 6; S. 438 – 453.

Kleinhückelkotten, Silke/Neitzke, H.-Peter/Moser, Stephanie (2016): Repräsentative Erhebung von Pro-Kopf- Verbräuchen natürlicher Ressourcen in Deutschland (nach Bevölkerungsgruppen). Texte 39/2016. Dessau: Umweltbundesamt.
www.umweltbundesamt.de/publikationen/repraesentative-erhebung-von-pro-kopf-verbraeuchen

Lukas, Melanie/Liedtke, Christa/Baedeker, Carolin/Welfens, Maria-Jolant (2014): Suffizienz als Anknüpfungspunkt für ein nachhaltiges Handeln des verletzlichen Verbrauchers. In: Bala, Christian/Müller, Klaus (Hrsg.): Der verletzliche Verbraucher: Die sozialpolitische Dimension der Verbraucherpolitik, Bd. 2. Beiträge zur Verbraucherforschung, S. 99–121. Düsseldorf: Verbraucherzentrale NRW.