4—In Bildung investieren und damit soziale Gerechtigkeit weltweit fördern

Demonstration der GEW gegen ungleiche Bezahlung im Lehrerberuf.
Demonstration der GEW gegen ungleiche Bezahlung im Lehrerberuf.
Mbdortmund (2011): Demonstration der GEW 2011 gegen ungleiche Bezahlung im Lehrerberuf (CC BY-SA3.0)

Von Sarah Kleemann

Für Deutschland als Wissensgesellschaft ist und bleibt Bildung eine der zentralen gesellschaftlichen Ressourcen, die für den Abbau von Ungleichheiten entscheidend ist. Dies machen die SDGs durch den hohen Stellenwert der Bildungsziele deutlich. Gerade im vergangenen Jahrzehnt, mit der weltweiten Wirtschaftskrise, zahlreichen Herausforderungen in Europa, großen Migrationsbewegungen und dem Vormarsch der Digitalisierung, muss durch gleiche Bildungs- und Teilhabechancen dem Gefühl des abgehängt Seins oder abgehängt Werdens entgegengewirkt werden. Verringern könnte Deutschland das gravierende Problem der ungleichen Chancen durch eine Anpassung der Investitionen im öffentlichen Bildungssektor an die prosperierende Wirtschaft. Es wäre ein Schritt hin zu einer sozial orientierten, finanziellen Umverteilung, beispielsweise in Kitas und Schulen in sozialen Brennpunkten. Fehlende finanzielle und personelle Ausstattung führt gerade hier zur weiteren Spaltung zwischen Bildungsgewinner/innen und -verlierer/innen.

 

Den Vereinten Nationen ist mit dem Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal, SDG) Nummer 4 „Inklusive Bildung, gerechte und hochwertige Bildung gewährleiten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern“ ein wichtiger Vorstoß zu einem global gültigen, breiten Bildungsbegriff des lebenslangen Lernens gelungen. Dieser umfasst eine universelle Sekundarbildung ebenso wie die Förderung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Um die Breite dieser Ziele zu erfüllen, hat Bundesforschungsministerin Johanna Wanka die „Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030“ zur Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (in ihrer Neuauflage von 2016) und der SDGs Anfang Mai 2017 ins Leben gerufen. [fn]Siehe www.iass-potsdam.de/de/news-media/news/wissenschaftsplattform-nachhaltigkeit-2030-geht-den-start. [/fn] Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen hier in Realpolitik umgesetzt und eine Vernetzung zwischen den 17 SDGs gefördert werden. Zudem steht 2017 die Veröffentlichung des Nationalen Aktionsplans Bildung für Nachhaltige Entwicklung an, der von der Nationalen Plattform Bildung für Nachhaltige Entwicklung erarbeitet wurde. Er zeigt, wie nachhaltiges Handeln in den Bildungsbereichen durch die Bundesregierung strukturell verankert und vermittelt werden kann. Grundlage sind die Ergebnisse aus sechs Fachforen, die seit Mitte 2015 erarbeitet wurden. [fn]Die Fachforen fanden statt zu den Bereichen „Frühkindliche Bildung“, „Schule“, „Berufliche Bildung“, „Hochschule“ und „Non-formales und Informelles Lernen/Jugend“ sowie „Kommunen“. [/fn] Neben dem Nationalen Aktionsplan für BNE soll auch ein Bericht der Bundesregierung zur BNE noch vor Ende der Legislaturperiode erscheinen. [fn]Vgl. www.bmbf.de/de/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung-535.html. [/fn] Zur Verbesserung der Bildungsrealität in Deutschland sowie der deutschen Verantwortung für Bildung in der Weltgemeinschaft, müssen sich beide Papiere deutlich für mehr Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen im Bildungssystem aussprechen. Nur so können die Bildungsziele mit inklusiven, qualitativ hochwertigen Bildungschancen aller durch kostenlose Grund- und Sekundarschulbildung erreicht werden.

 

Defizite im Bildungsbereich

In praktisch allen Bildungsbereichen besteht in Deutschland Handlungsbedarf. Das gilt sowohl für die frühkindliche Erziehung, als auch für die Hochschulbildung sowie die berufliche Weiterbildung.

Frühkindliche Bildung

In der frühkindlichen Bildung (vgl. SDG 4.1) braucht es nach dem Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland ein bundesweit geltendes Kitaqualitätsgesetz: Einem quantitativen Ausbau muss die Sicherstellung der pädagogischen Qualität folgen. Der Bedarf an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen steigt stetig, u.a. durch die Umsetzung der Inklusion. Nach aktuellen Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fehlen 2017 rund 300.000 Plätze und die Qualitätsunterschiede sind groß: So schwanken bspw. die Betreuungsschlüssel je nach Bundesland zwischen 1:3 und 1:14. Zugleich müssen die Stellen in den Kitas, in denen mit über 90 Prozent mehrheitlich Frauen beschäftigt sind, durch bessere Bezahlung aufgewertet werden. Dazu gehören die Entlohnung der Ausbildung und die Etablierung eines Studiums der Kindheitspädagogik. Sowohl in der Kindertagesbetreuung als auch in Grund- und Sekundarschulen braucht es zur Aufwertung eine Aufstockung der Bezüge für Erzieher/innen und Lehrer/innen. In Berlin ist dies für die Grundschullehrkräfte 2017 gelungen, sie werden neuerdings eine Gehaltsstufe höher eingruppiert.

Hochschulen

Betrachtet man den Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft, fällt die akademische Bildung besonders ins Auge: Noch immer haben Kinder aus akademischen Haushalten deutlich größere Chancen auf den Zugang zu, die Förderung und Erlangung von akademischer Bildung. Um diesen Zusammenhang aufzubrechen, hätte bspw. die Erhöhung der staatlichen Unterstützung für die Ausbildung von Schüler/innen und Studierenden entsprechend des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) 2014 bedeutend höher ausfallen müssen. Die angelegten Bedarfssätze und Freibeträge entsprechen nicht den gestiegenen Lebenshaltungskosten. Ziel muss eine Anhebung der Sätze bzw. Rückführung des Darlehensanteils in der Ausbildungsförderung zu Gunsten einer Zuschussförderung sein, ebenso wie eine Anpassung der Förderhöchstdauer an die tatsächlichen Studienzeiten. Reformbedarf gibt es auch in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hier herrschen noch immer prekäre, v.a. befristete Arbeitsverhältnisse vor (ca. 93 Prozent). Dieser Anteil muss dringend verringert werden, um Unsicherheiten in der beruflichen wie familiären Zukunftsplanung der Betroffenen zu reduzieren.

Beim Blick auf Geschlechtergleichstellung und Bildungschancen scheint die Entwicklung zunächst sehr positiv. Doch der zweite Blick zeigt in vielen Bildungsbereichen weiterhin strukturelle Gleichstellungsdefizite, die sich im Lebensverlauf insbesondere auf Frauen auswirken. Auch an Hochschulen wird dies deutlich: Über 50 Prozent Frauenanteil erreicht Deutschland unter den Absolvent/innen. Die Studienstatistiken zeigen aber tiefgreifend unterschiedliche Bildungsverläufe von Frauen und Männern: In den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) verbessert sich der Frauenanteil nur langsam und die oftmals prekären Rahmenbedingungen im Wissenschaftsbetrieb wirken gerade auf Frauen als individuelles Karrierehemmnis. So liegt der Frauenanteil unter den Habilitationen bei nur noch 28 Prozent. In der Professor/innenschaft bewegt sich die Frauenquote gerade einmal bei 20 Prozent.

Berufliche Bildung

SDG 4.3 verpflichtet zur erschwinglichen und hochwertigen fachlichen, beruflichen und tertiären Bildung. Deutschland ist für sein gutes und starkes duales Ausbildungssystem bekannt. Doch auch das berufliche Bildungssystem kann nur erschwinglich und qualitativ hochwertig bleiben, wenn die Schulgebäude ausreichend saniert und an die digitale Welt angepasst werden. Ferner bedürfen die vollzeitschulischen Ausbildungen insbesondere in den Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitsberufen einer angemessenen Anerkennung und Wertschätzung. Der Berufsbildungsbericht 2017 zeigt, dass 1,22 Millionen (knapp 13 Prozent) junge Menschen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren weiterhin keine abgeschlossene Ausbildung haben. Pro Jahrgang bedeutet das im Schnitt mehr als 120.000 Jugendliche ohne Ausbildung. In eine nachhaltige und gute Berufs- und Studienberatung muss folglich dringend investiert werden, damit Jugendliche motiviert und nicht abgehängt werden. Dabei ist gleichzeitig auf mehr Geschlechterbewusstheit hinzuwirken. Frauen wählen weiterhin hauptsächlich bestimmte Berufsausbildungen – wie Kauffrau im Einzelhandel, Verkäuferin und Bürokauffrau. Männern wählen hingegen Ausbildungen zum Kraftfahrzeugmechatroniker, Kaufmann im Einzelhandel und Industriemechaniker. Auffällig ist zudem, dass weibliche Jugendliche sich auf weniger Ausbildungsberufe als männliche Jugendliche konzentrieren: 71 Prozent Frauen wählten 2011 einen der 20 am häufigsten von Frauen ergriffenen Berufe – Männer zu 55 Prozent die 20 häufigsten Berufe ihrer Gruppe. [fn]Siehe www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/BeruflicheBildung/BerufsbildungB…. [/fn]

 

Deutschland muss mehr in Bildung investieren. Zu Hause...

Zur Umsetzung der SDGs in allen Bildungsbereichen, über Geschlechtergleichstellung bis hin zur Umsetzung von Inklusion und Bildung für nachhaltige Entwicklung, muss Deutschland deutlich mehr finanzielle Ressourcen bereitstellen. Bereits 2008 hatte sich die Bundesregierung beim Dresdner Bildungsgipfel verpflichtet, die Investitionen in Bildung auf sieben Prozent und in der Forschung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Die Quote der Schul- oder Berufsabbrüche sollte halbiert und die Weiterbildungsbeteiligung auf EU-Standard angehoben werden. Vor allem im internationalen Vergleich zeigt sich das Defizit bei Bildungsinvestitionen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung erreichte Deutschland 2013 nur 4,2 Prozent öffentliche Ausgaben für seine Bildungseinrichtungen, der OECD-Durchschnitt lag bei 4,8 Prozent. Bspw. Norwegen investierte über sieben Prozent. [fn]Vgl. https://data.oecd.org/eduresource/public-spending-on-education.htm#indicator-chart. [/fn]

Nach Roman Jaich fehlen allein Ländern und Kommunen in den Bildungsbereichen rund 44,2 Milliarden Euro, inklusive der Inklusion an allgemeinbildenden Schulen. [fn]Vgl. Jaich (2017). [/fn] Der Bund muss für seine Bildungsaufgaben nach Jaich zusätzlich ca. 5,6 Milliarden Euro in die Hand nehmen. [fn]Ebd. [/fn] Für die Integration von Geflüchteten errechnet Jaich 3,6 bis 4,7 Milliarden Euro. Insgesamt kommt Deutschland damit auf zusätzliche jährliche Ausgaben zur Verbesserung des Bildungssystems zwischen 53,4 und 54,5 Milliarden Euro. Jaich zeigt in seinem Gutachten auf, welche Bedarfe in welchen Bildungsbereichen durch Investitionsaufstockungen in dieser Größenordnung erfüllt würden und wie Deutschland dadurch zu einem inklusiven ganzheitlichen Bildungswesen käme. Zu erwähnen ist, dass sich im Vergleich zu 2016 die notwendigen zusätzlichen Ausgaben in 2017 leicht verringert haben. Dies ist auf Verbesserungen der Quantität und Ausstattung in einigen Bildungsbereichen zurückzuführen, wie dem Ausbau der Kindertagesbetreuung, der teilweise Abschaffung von Elternbeiträgen für Kindertagesstätten, auf die Einführung von einzelnen Sprach-Kitas, das Elterngeld-Plus und die Abschaffung von Studiengebühren in manchen Bundesländern. Von einem nachhaltigen Umsteuern in der Bildungspolitik ist Deutschland jedoch weit entfernt.

Zu den in Jaichs Gutachten aufgeführten rund 54,5 Milliarden Euro kommt zudem der Investitionsstau in der kommunalen Infrastruktur hinzu: Allein der Bedarf an Sanierung bei Schulgebäuden liegt bei 34 Milliarden Euro. [fn]KfW Research (2016), S. 3. [/fn] Bei den Hochschulen beläuft sich der Baubedarf nach Berechnungen der Kultusminister/innenkonferenz (KMK) auf knapp 50 Milliarden Euro. [fn]„Um den aufgelaufenen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf abzudecken, sind zusätzlich zu dem den Ländern unter den derzeitigen finanzpolitischen Rahmenbedingungen bis zum Jahr 2025 zur Verfügung stehenden Baubudget in Höhe von 21 Mrd. € je nach Flächenerweiterungsszenario weitere 8 bis 35 Mrd. € nötig.“ Siehe KMK (2016). [/fn] Der Sanierungsstau führt vor allem in Kindertagesstätten und Schulen zu Störungen im Lernumfeld von Kindern. Dazu zählen die Größe der Klassenräume, Akustik bzw. Lärmpegel, Beleuchtung usw. Ausbleibende Sanierungen führen zudem zu Folgen für die Umwelt, beispielsweise wenn undichte Leitungssysteme das Grundwasser verunreinigen. Mit Blick auf die SGDs, die implizit auf gut ausgebaute Bildungseinrichtungen abstellen, ist die jüngste Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zwar insgesamt positiv zu bewerten. Die vereinbarten zusätzlichen Finanzhilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro, begrenzt auf finanzschwache Kommunen und den Zeitraum von 2017 bis 2021, können bei einem notwendigen Bedarf von 34 Milliarden Euro jedoch nur als erster Schritt bewertet werden. Ebenfalls in Ansätzen positiv ist, dass durch die entsprechende Änderung des Grundgesetzes (Art. 104c) eine Lockerung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern in der Bildung erfolgte. Das Verbot müsste jedoch insgesamt abgeschafft werden. Zugleich ist problematisch, dass bei der Umsetzung der Gebäudesanierung die Möglichkeit von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften gesetzlich festgeschrieben wurde.

 

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... und grenzüberschreitend

Zur Erfüllung der SDG-Bildungsziele ist Deutschland nicht nur national sondern auch international gefordert. Das Ziel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (SDG 4.7) ist nur dann realisierbar, wenn in den Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit, humanitären Hilfe und auswärtigen Kultur- sowie Bildungspolitik mehr Investitionen vorgesehen werden. Die Zuwanderung von über einer Million Menschen aller Altersgruppen und Bildungsgrade innerhalb kurzer Zeit war und ist eine Herausforderung für das deutsche Bildungssystem. Dasselbe gilt in größerem Maße für Länder, die noch mehr Geflüchteten Unterkunft gewähren. Jeder Bildungsbereich, von der Kita, Schule, Hochschule bis hin zur Weiterbildung, ist betroffen. Sprachförderung von Anfang an, unabhängig vom Alter und Geschlecht, sowie Anerkennung von formellen sowie informellen Qualifikationen spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) samt seiner Außenstellen der Fülle an Aufgaben, wie der Durchführung von Asylverfahren und von Integrationskursen (Sprach- und Orientierungskurse), kaum gerecht werden kann, ist nicht verwunderlich. Hier zeigt sich symptomatisch ein weiteres Defizit: personell zu gering ausgestattete öffentliche Einrichtungen. Im Durchschnitt der OECD-Länder arbeiten etwa 21 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Sektor; in Deutschland sind es gerade einmal 15 Prozent. Die skandinavischen Länder weisen doppelt so hohe Werte auf: Norwegen 32 Prozent, Dänemark 34 Prozent. Wenn die öffentliche Beschäftigung in Deutschland nur den OECD-Durchschnittswert erreichen würde, entspräche dies rund 1,5 Millionen Beschäftigten mehr. [fn]Vgl. GEW (2017). [/fn]

Mit Blick auf die Migrationsbewegung sind die Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche und ganze Generationen besonders gravierend: Laut dem Bildungsexperten der UNICEF, Friedrich W. Affolter, waren nie zuvor so viele Kinder von humanitären Krisen bedroht wie heute. 2,3 Milliarden US-Dollar braucht es laut UNESCO/UNHCR allein, um den Bildungsbedarf von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in Krisen- und Konfliktregionen abdecken zu können. 8,5 Milliarden US-Dollar fehlen insgesamt, um Kinder in Kriegs- und Krisengebieten Bildung zu ermöglichen. [fn]Vgl. Globale Bildungskampagne (2017). [/fn]

Die zentrale Bedeutung der Bildungsinvestitionen für die nachkommenden Generationen und deren Zukunftsperspektiven in diesen Gebieten ist zu wenig anerkannt und wird im tatsächlichen politischen Handeln unzureichend berücksichtigt. Einen aktiven Beitrag könnte Deutschland durch die Unterstützung des Aufbauplans und Hilfsfonds „Education Cannot Wait/Bildung kann nicht warten“ – während des Humanitären Weltgipfels 2016 in Istanbul ins Leben gerufen – leisten. Die Globale Bildungskampagne und ihre Partner/innenorganisationen fordern hier von der Bundesregierung einen jährlichen Beitrag von rund 50 Millionen Euro. [fn]Ebd. [/fn] Der Fonds soll Übergangshilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Bildungsbereich besser verzahnen und die Koordinierung zwischen den Akteur/innen fördern. Das Geld ist für ausreichend öffentliche Schulplätze, qualifizierte Lehrkräfte und Unterrichtsmaterial für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen vorgesehen. Zudem sollen Maßnahmen zur Integration in die nationalen Bildungssysteme besser koordiniert werden. Die Niederlande, Norwegen, Großbritannien, die USA und in kleinem Umfang die Europäischen Union haben Unterstützung zugesagt. Ohne Hilfspakete wie diese droht in Ländern wie Syrien sowie den Nachbarländern eine ganze Generation ohne Schulbildung aufzuwachsen. Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe hatte die Türkei mit circa 2,5 Millionen Menschen bis Ende 2015 die meisten Geflüchteten aufgenommen. [fn]Vgl. UNO-Flüchtlingshilfe (2015). [/fn] Mindestens 400.000 der insgesamt rund 900.000 minderjährigen Geflüchteten in der Türkei sind von Kinderarbeit betroffen, berichtet Murat Erdoğan, Direktor des Forschungszentrums für migrationspolitische Fragen der Hecettepe Universität (HÜGO). [fn]Vgl. Deutscher Bundestag (2017). [/fn] Diesen Kindern und den weltweit 124 Millionen, die keinerlei Chance auf Grundbildung haben – also auf Lesen, Schreiben, Rechnen – kann durch solche, internationalen Bildungskooperationen und Hilfefonds konkret vor Ort geholfen werden. Krisen und Konflikte wirken sich verschärfend gerade auf ungleiche Bildungszugänge aus. Ein einfaches und zugleich schwieriges Thema ist bereits die Ausstattung von Schulgebäuden mit hygienischen Einrichtungen. Fehlen Toiletten, oder sind diese nicht für alle Kinder zugänglich oder für Mädchen und Jungen zusammen vorgesehen, führt dies immer wieder dazu, dass Mädchen und junge Frauen der Schule fernbleiben. Ähnlich verhält es sich bei nicht behindertengerechter Ausstattung von Schulgebäuden. Die geringe Bildungsteilhabe bestimmter Kinder verschärft sich. Deutlich wird: Bildung für nachhaltige Entwicklung muss inklusiv und nachhaltig gedacht und umgesetzt werden, um der Vielzahl an Diskriminierungstatbeständen entgegenzuwirken zu können.

Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung 2013 festgeschrieben, in der internationalen Zusammenarbeit Bildung als Schwerpunkt zu setzen. Und bereits seit 2009 ist Bildungsförderung Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspolitik. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) haben in den vergangenen zwei Jahren beispielsweise Bildungsvorhaben zu inklusiver Bildung in Malawi sowie in Guatemala umgesetzt. [fn]Vgl. Webseite zum Engagement des BMZ unter www.bmz.de/de/themen/bildung/bildungsfoerderung_deu/index.html. [/fn] Leuchtturmprojekte wie diese und andere politische Vorhaben sind teilweise jedoch einseitig, was von der Globalen Bildungskampagne kritisiert wird. So fließen von den 1,36 Milliarden Euro für Bildung als Mittel der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA), ca. 740 Millionen in Stipendien für Studierende aus Entwicklungsländern in Deutschland. Diese Ausgaben sind wichtig und ebenfalls im Sinne der SDGs: In SDG 4b wird gefordert, bis 2020 die Stipendien für Entwicklungsländer für Hochschulen, berufliche Bildung und Informations- und Kommunikationstechnik-, Technik, Ingenieurs- und Wissenschaftsprogramme wesentlich zu erhöhen. Sie müssten jedoch durch Mehrausgaben in anderen Bereichen ergänzt werden. Die Problematik der Mittelverteilung des BMZ in Bildung wird außerdem bei Betrachtung der beruflichen Bildung und des tertiären Bereichs deutlich. Hierhin fließt die Hälfte der BMZ-Bildungsmittel. [fn]Vgl. Schönfeld/Klimisch (2016), S. 45. [/fn] Die Grundbildung, von der frühkindlichen Bildung bis zur nachholenden Erwachsenenbildung, gilt demgegenüber als unterfinanziert: 125,7 Millionen Euro fließen hier jährlich. Das entspricht 34 Prozent der BMZ-Bildungsmittel und 1,2 Prozent der bilateralen Mittel insgesamt. [fn]Ebd. [/fn] Dabei könnte gerade durch die Bildungsförderung in den ersten Lebensjahren bis hin zur Sekundarbildung in Entwicklungsländern besonders viel bewirkt werden. Es wäre ein wichtiger Schritt, um die Zahl der weltweit 775 Millionen Analphabet/innen zu verringern und um den insgesamt 263 Millionen Kindern zu helfen, die nicht zur Schule gehen – 75 Millionen davon leben in einem Krisen- oder Konfliktgebiet. Geflüchteten Kindern, Mädchen sowie Kindern mit Behinderung wird der Schulbesuch überdurchschnittlich oft verwehrt. [fn]Vgl. Globale Bildungskampagne (2017). [/fn]

Die Weltgemeinschaft betrachtend muss die Aufforderung für eine Stärkung der Bildung für Nachhaltige Entwicklung in stärkeres (finanzielles) Engagement reicher Länder im defizitär ausgestatteten Bereich der Bildungsausgaben in der Entwicklungszusammenarbeit münden. In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie von 2016 führt die Bundesregierung aus, dass sie in allen Bildungsbereichen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ strukturell verankern will. [fn]Vgl. Bundesregierung (2017). [/fn] Insbesondere als individuellen Erkenntnisgewinn und Reifungsprozess. Wie durch die o.g. Beispiele deutlich wird, benötigt BNE starke finanzielle Förderung innerhalb klarer politischer Strategien, um national im globalen Kontext erfolgreich umgesetzt zu werden. BNE als individueller Erkenntnisprozess ist ein wichtiger Teil dessen. Die Nachhaltigkeitsstrategie sollte jedoch deutlicher machen, dass es durch die Herstellung gleicher Bildungschancen für alle, weltweit um die Herstellung und den Erhalt von sozialer Sicherheit, Chancengerechtigkeit, Partizipation und Demokratie gehen muss. Die Aussage in der Nachhaltigkeitsstrategie, das Gelingen von BNE hinge von der „Vernetzung der verschiedenen Akteure aus Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kultur sowie schulischer und außerschulischer Lernorte“ ab, scheint insbesondere in internationaler Perspektive zu kurz gegriffen. [fn]Vgl. ebd., S. 84. [/fn] BNE kann nur dann nachhaltig sein, wenn sie über nationale Grenzen hinweg gedacht und angegangen wird.

 

Fazit

Für Deutschland als Wissensgesellschaft ist und bleibt Bildung eine der zentralen gesellschaftlichen Ressourcen, die für den Abbau von Ungleichheiten entscheidend ist. Dies machen die SDGs durch den hohen Stellenwert der Bildungsziele deutlich. Gerade im vergangenen Jahrzehnt, mit der weltweiten Wirtschaftskrise, zahlreichen Krisen in Europa, großen Migrationsbewegungen und dem Vormarsch der Digitalisierung, muss durch gleiche Bildungs- und Teilhabechancen dem Gefühl des abgehängt Seins oder abgehängt Werdens entgegengewirkt werden. Das gravierende Problem der ungleichen Chancen im Bildungssystem könnte Deutschland verringern, wenn die Investitionen im öffentlichen Bildungssektor der prosperierenden Wirtschaft angepasst würden. Es wäre ein Schritt hin zu einer sozial orientierten, finanziellen Umverteilung, bspw. in Kitas und Schulen in sozialen Brennpunkten. Fehlende finanzielle und personelle Ausstattung führt gerade hier zur weiteren Spaltung zwischen Bildungsgewinner/innen und -verlierer/innen.

Sarah Kleemann
Sarah Kleemann
Name

Sarah Kleemann

Sarah Kleemann leitet das Parlamentarische Verbindungsbüro der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin.

Literature

Bundesregierung (2017): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Neuauflage 2016. Berlin.
www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/Nachhaltigkeit-wiederhergestellt/2017-01-11-nachhaltigke…

Deutscher Bundestag (2017): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 18/11568. Die Lage der Flüchtlinge in der Türkei und Nachbarländern. Berlin.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/115/1811568.pdf

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) (2017): Richtig gerechnet! Das Steuerkonzept der GEW – Aktualisierung und Neuberechnung. 3. überarbeitete Auflage. Berlin.
www.gew.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=25149&token=60691565bb39393820a45932783f282a6cc0c836&sdownl…

Globale Bildungskampagne (2017): Bildung darf nicht warten. Analyse des deutschen Beitrags zur Förderung von Bildung in Krisen und Konflikten. Berlin.
www.bildungskampagne.org/sites/default/files/download/Bildung%20darf%20nicht%20warten_Empfehlungspapier_GBK_0.pdf

Jaich, Roman (2017): Bildungsfinanzierung der öffentlichen Hand – Stand und Herausforderungen. Gutachten im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung.

KfW Research (2016): Kommunaler Investitionsrückstand bei Schulgebäuden erschwert Bildungserfolge. Fokus Volkswirtschaft Nr. 143, 24. September 2016. Frankfurt/Main.
www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-Nr.-143-September-2016-Investitionsr%C3%BCckstand-bei-Schulgeb%C3%A4uden.pdf

Kultusministerkonferenz (KMK) (2016): Solide Bauten für leistungsfähige Hochschulen – Wege zum Abbau des Sanierungs- und Modernisierungsstaus im Hochschulbereich. Beschluss vom 11.02.2016. Berlin.
www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2016/2016_02_11-Abbau-Sanierungsstau.pdf

Schönfeld, Dorothea/Klimisch, Jan-Thilo (2016): Eine kritische Betrachtung der deutschen Umsetzung der Bildungsziele – aus Perspektive der Globalen Bildungskampagne. In Forum Menschenrechte et al. (Hrsg.): Noch lange nicht nachhaltig – Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda 2016. Berlin/Bonn/Osnabrück.
www.2030report.de/de/bericht/kapitel/ii6-eine-kritische-betrachtung-der-deutschen-umsetzung-des-bil…

UNO-Flüchtlingshilfe (2015): Global Trends – Jahresbericht 2015. Bonn.
www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten.html