Von Christian Heise
Netzwerktechnologien sind fester Bestandteil im Alltag vieler Menschen. Um die Digitalisierung gesamtgesellschaftlich zu gestalten, müssen Bürgerinnen und Bürger in der Lage sein, diese Technologie bewusst und kompetent zu nutzen. Freie und unabhängige Netze können einen Beitrag dazu leisten, die aktive Teilhabe aller an der digitalen Welt zu ermöglichen und die notwendigen Grundkenntnisse zu vermitteln um netzpolitische Entscheidungen treffen zu können. Damit leisten sie u.a. einen Beitrag zur Verwirklichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die die Staaten unter anderem auffordert „den Zugang zur Informations- und Kommunikationstechnologie erheblich zu erweitern“ (SDG 9.c).
Die epochalen Veränderungen der Telekommunikation haben unser Informations- und Kommunikationsverhalten nachhaltig verändert. Dass Informationen und deren Verbreitungskanäle einen nicht unbedeutenden Machtfaktor darstellen, ist sicher unbestritten. Unbestritten ist aber auch, dass digitale Netze (auch) zu anderen Zwecken geschaffen wurden: Als freie, öffentlich zugängliche und nicht kommerzielle Infrastruktur im Besitz der Gemeinschaft für die Übertragung von Daten unabhängig von ihrem Inhalt, von Absender und Empfänger.
In den letzten 40 Jahren erfuhr die Telekommunikation vier wesentliche Umwälzungen, von denen jede eine neue Epoche einleitete. Die erste war der Beginn des digitalen Zeitalters in den 70er Jahren, die zweite große Umwälzung war die Datenpaket-Vermittlung, die dritte der Mobilfunk und die vierte das Internet der Dinge und die damit einhergehenden Möglichkeiten zum Aufbau dezentraler IT-Infrastrukturen.
Jede dieser Veränderungen brachte fundamentale Neuerungen mit sich. Die erste schaffte erste multimediale Anwendungen. Die zweite ermöglichte ständige Onlinekommunikation und -verbindungen. Die dritte führte zu funktionaler Mobilität und die vierte stellte die Grundlage für die Informationsinfrastruktur und Allgegenwertigkeit des Digitalen im analogen Raum dar.
Diese epochalen Veränderungen haben die Informations- und Kommunikationskanäle nachhaltig verändert. Dass Informationen und deren Verbreitungskanäle einen nicht unbedeutenden Machtfaktor darstellen, will in diesem Zusammenhang sicher niemand bestreiten. Digitale Netze sollten deshalb den Zweck, zu dem sie geschaffen wurden (wieder) erhalten: Als freie, öffentlich zugängliche und nicht kommerzielle Infrastruktur im Besitz der Gemeinschaft für die Übertragung von Daten unabhängig von ihrem Inhalt, dem Absender und der Empfängerin.
Deutschland, ein digitales Schwellenland?
Obwohl die Preise für Netzwerk-Hardware so niedrig sind wie noch nie und der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2013 erklärt hat, dass das Internet zur Lebensgrundlage von Privatpersonen gehört, ist Deutschland bei der Verbreitung leistungsfähiger Zugänge zu digitalen Netzwerken nur unteres Mittelmaß. Das führt dazu, dass Privatpersonen sowie kleine und mittlere Betriebe in ländlichen Regionen, von der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung abgeschnitten sind – ein Armutszeugnis für Deutschland.
Mit welchen Schwierigkeiten digitale zivilgesellschaftliche Initiativen in Deutschland zu kämpfen haben, sieht man am Beispiel der digitalen Geflüchtetenhilfe. Das Internet ist für Geflüchtete von unschätzbarem Wert und stellt bei der Integration einen wesentlichen Anlaufpunkt dar. Doch in vielen Erstaufnahmeeinrichtungen und Wohnheimen gibt es bislang keinen kostenlosen Internetzugang, so dass Geflüchtete viel Geld für entsprechende Smartphone-Verträge oder Prepaid-Karten ausgeben müssen.
Viele kommunale Verantwortliche haben noch immer nicht erkannt, dass neben öffentlichen Hotspots auch private Netzwerke durchaus ihre Berechtigung haben. Anstatt dass Eigeninitiative gefördert wird, haben viele ehrenamtliche Initiativen seit langem mit Stadtverwaltungen zu kämpfen. Besonders die Erlaubnis zur Montage von Antennen und die Energienutzung erweisen sich dabei immer wieder als Schwierigkeiten.
Grund für die Zurückhaltung der Verantwortlichen in vielen Kommunen beim Thema WLAN für Geflüchtetenunterkünfte war die sogenannte Störerhaftung. Dieses bis 30. Juni gültige Rechtsprinzip besagte, dass die Inhaberin oder der Inhaber eines Internetzugangs dafür haftet, wenn andere über diesen Anschluss eine Rechtsverletzung begehen. [fn]Vgl. http://erstattungspflichtige/2017/06/30/offene-wlans-fuer-alle-wlan-stoererhaftung-ade/. [/fn] Die Betreiber von Unterkünften fürchteten also, dass sie zur Kasse gebeten oder anderweitig rechtlich belangt würden, falls zum Beispiel illegale Inhalte aus dem Internet heruntergeladen würden. Die Initiative Freifunk hat mit viel ehrenamtlichem Aufwand rechtliche und technische Lösungen gefunden, die allerdings auf Kosten des Engagements beim Ausbau und der Dezentralität der Netze gehen.
Der lange Zeit fehlende politische Wille bei der politischen Entwicklung um die Störerhaftung ist dabei leider kein Einzelfall. Ähnliches gilt beim fehlenden Bekenntnis für Netzneutralität, bei der Anerkennung der digitalen ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie bei der Einbindung von Zivilgesellschaft in netzpolitische Entscheidungsprozesse.
Freie Netze als Lösung?
Nur in wenigen Regionen Deutschlands hat die Politik verstanden, welche Chancen mit dem Aufbau selbstinitiierter Netzwerke verbunden sein können. Die technische Vernetzung geht nämlich stets mit der Bildung neuer lokaler, sozialer Netzwerke einher. Mit lokalen WLAN-Netzwerken ergeben sich unter anderem zahlreiche neue Aspekte für die Jugendmedienarbeit. Strukturschwache Regionen könnten wieder an Attraktivität für die Bevölkerung sowie für kleine und mittelständische Unternehmen gewinnen. Und Netze bilden schließlich die Voraussetzung für die betagte Idee einer „elektronischen Agora“, [fn]Vgl. Kamps (2001). [/fn] eine demokratisierte Kommunikationsinfrastruktur im Besitz ihrer Benutzerinnen und Benutzer.
Die Idee freier Netze ist gewiss nichts Neues. Doch die Utopie des Internets als selbstorganisierter Informations- und Kommunikationsfreiraum wurde schon Ende der 90er-Jahre zunehmend unrealistischer. Aus heutiger Perspektive betrachtet besteht die unmittelbare Gefahr, dass das Internet schon bald ohne künstliche Barrieren weder öffentlich noch anonym zugänglich, mehr und mehr kommerziell und zensiert und nicht im Besitz einer Gemeinschaft und dezentral organisiert sein wird.
Um auf der Straße und öffentlichen Plätzen miteinander zu sprechen, brauchen wir keine kommerziellen Anbieter. Um unseren Freunden zu Hause Filme zu zeigen, brauchen wir kein bezahltes Fernsehen, sei es durch Werbung oder Gebühreneinzug. Statt auf wenige zentrale Anbieter zurück greifen zu müssen, sollen in freien Netzen Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander kommunizieren können, genauso wie im öffentlichem Raum. Teilnehmer/innen haben in diesen freien Netzen die Möglichkeit, Dienste zu betreiben und diese anderen anzubieten. Ein derartiger Ansatz steht Monopolstrukturen im Software-, Telekommunikations- und Energiesektor diametral gegenüber.
Hier setzen freie Netze an. Sie werden von immer mehr Menschen in Eigenregie aufgebaut und gewartet. Jede Nutzerin im Freifunk-Netz stellt ihren WLAN-Router für den Datentransfer der anderen Teilnehmer zur Verfügung. Im Gegenzug kann sie oder er ebenfalls Daten, wie zum Beispiel Texte, Musik und Filme über das interne freifunk-Netz übertragen oder über von Teilnehmern eingerichtete Dienste im Netz chatten, telefonieren und gemeinsam spielen.
In Deutschland haben lokale, ehrenamtliche Initiativen in knapp 400 Orten mit über 40.000 Zugängen das größte nicht-kommerzielle freie Funknetzwerk in Europa aufgebaut: Freifunk.net. Solche freien Netze werden von immer mehr Menschen in Eigenregie aufgebaut und gewartet.
Was genau macht ein Netzwerk zu einem freien Netz? Der kürzlich verstorbene Journalist und Medienkünstler Armin Medosch schreibt dazu „Free Networks verweist zugleich auf die Analogie zu Free Software. Immer mehr Software wird heute unter Copyleft-Lizenzen gestellt, so dass sie als Gemeingut genutzt werden kann. Ähnlich wie freie Software entstehen freie Netze durch die kooperativen Handlungen vieler einzelner Akteure. Dabei ist der Aspekt der persönlichen Freiheit ausschlaggebend und nicht, dass etwas gratis angeboten wird.“ [fn]Medosch (2003), S. 8. [/fn]
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Warum sind freie Netze wichtig?
Die Verbreitung dieser freien Netzwerke, so die Vision, ermöglicht die Demokratisierung der Kommunikationsmedien und unterstützt die Förderung lokaler Sozialstrukturen in einer digitalen Gesellschaft. Auf lokaler Ebene stellen zum Beispiel die vielen freifunk-Initiativen immer mehr eine Alternative zu den kommerziellen Netzwerkanbietern dar. Diese Freifunk-Netze bieten einen öffentlichen Raum in dem freie Inhalte verbreitet werden können.
Der anfängliche Beweggrund, Teil eines Freifunk-Netzes zu werden, ist meist das Bedürfnis, einen kostenlosen oder kostengünstigen Zugang zum Internet bereit zu stellen oder zu nutzen. Freifunk-Aktivist/innen sehen jedoch vielmehr die Möglichkeit sich miteinander in freien Netzen verbinden zu können – ohne sich den Beschränkungen kommerzieller Anbieter unterordnen zu müssen.
Es geht unter anderem um die Aufklärung und Sensibilisierung für Themen rund um die Kommunikations- und Informationsfreiheit, die aktive Bekämpfung der digitalen Spaltung, ungehinderte Verbreitung von Wissen und Ressourcen und die möglichst umfassende Befähigung, digitale Netze zu verstehen, aufzubauen und zu betreiben.
Durch die Vernetzung ganzer Stadtteile, Dörfer und Regionen wollen die Freifunker/innen der digitalen Kluft entgegenwirken und freie, unabhängige Netzwerkstrukturen aufbauen, in denen zum Beispiel lizenzfreies Community-Radio, die Übertragung lokaler Events, private Tauschbörsen und die gemeinsame Nutzung eines Internetzugangs möglich werden.
Der Austausch in den freien Netzen basiert dabei nicht auf kommerziellen Interessen, sondern auf dem freiwilligen Geben und Nehmen jeder und jedes Einzelnen im Netzwerk.
Ein Grundsatzabkommen für eine globale Bürgernetzbewegung
Dieser Anspruch an freiwilliges Geben und Nehmen hat allerdings mit dem inneren Widerspruch aller Graswurzelbewegungen zu kämpfen. Freifunker/innen sind Idealisten, die sich nicht gerne vorschreiben lassen, unter welchen Bedingungen sie ihre Dienste anbieten. Es dauerte eine Weile, bis man sich schließlich auf einen Lösungsansatz geeinigt hatte. Was dabei herausgekommen ist, ist ein Dokument mit dem Namen PicoPeeringAgreement (PPA) [fn]www.picopeer.net/PPA-de.shtml [/fn].
Als Peering Agreement bezeichnet man die Abkommen, die Provider untereinander über den Transit von Daten zwischen ihren Netzen treffen. Pico verweist auf die Kleinheit der Anbieter in diesem Fall, wo es sich oft nur um eine Person und ihren WLAN-Knoten handelt. Der PicoPeering-Vertrag versucht, bei maximaler Offenheit einige wichtige Prinzipien zu formulieren.
Der Betreiber eines Funknetzknoten erklärt die grundlegende Bereitschaft, den freien Transit von Daten über sein Netz zuzulassen. Freier Transit bedeutet, weder in den Datenfluss Eingriff zu nehmen, noch dafür Geld zu verlangen. Der Betreiber verpflichtet sich darüber hinaus, die für das Peering notwendigen technischen, geografischen und persönlichen Informationen zu publizieren. Da der Dienst frei ist, gibt es keine Garantie jedweder Art. Konflikte sollen möglichst auf lokaler Ebene gelöst werden.
Über diesen technologischen Minimalkonsens hinaus haben die Freifunker und Freifunkerinnen im Freifunk Memorandum of Understanding [fn]https://github.com/freifunk/MoU [/fn] von 2015 weitere soziale, organisatorische und technische Prinzipien definiert unter denen sie sich als eine Bewegung für freie Netzwerke zusammenfinden.
Vernetzt euch!
Der Aufbau und die Aufrechterhaltung nicht kommerzieller kabelloser Netzwerke ist also nicht nur eine Frage der Technik. Es geht in hohem Grad um die Menschen, die dahinter stehen. Es geht um Themen wie Medienkonvergenz, Ehrenamt, Netzneutralität und digitale Persönlichkeitsrechte. Themen, die bisher noch immer einer digitalen Bohème vorbehalten sind und von den politischen Entscheidungsträgern vernachlässigt werden.
Bis auf wenige Ausnahmen fehlen der deutschen Politik offenbar der Wille und die Kompetenz, die Digitalisierung konstruktiv zu gestalten. Es ist weder gelungen, ein schlüssiges Konzept noch ein konkretes Maßnahmenpaket für die Gestaltung der Digitalisierung in Deutschland vorzulegen. Die Digitalisierung zu gestalten bedeutet auch, die Grundlagen für den Ausbau digitaler dezentraler Infrastrukturen zu schaffen und den Bürgerinnen und Bürgern zu helfen, das Netz bewusst und kompetent zu nutzen. Transparenz, Partizipation und Teilhabe in Bezug auf digitale Medien sind jedoch ohne die entsprechenden Infrastrukturen nicht vermittelbar. Was man dagegen tun kann? Sich endlich zur Gestaltung der Digitalisierung zu bekennen und sich zu vernetzen!
Christian Heise
Christian Heise ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., beim Förderverein Freie Netzwerke e.V. setzt er sich für die Öffnung von Wissen und IT-Infrastrukturen ein.
Kamps, Klaus (2001): Die “Agora” des Internet - Zur Debatte politischer Öffentlichkeit und Partizipation im Netz. Wiesbaden. Hannover.
Medosch, Armin (2003): Freie Netze - Geschichte, Politik und Kultur offener WLAN-Netze. Hannover.
ftp://ftp.heise.de/pub/tp/buch_11.pdf