13—Klimagerechtigkeit global

Das Eis wird dünner.
Das Eis wird dünner.
NASA HQ PHOTO/Flickr (2010): ICESCAPE Mission (201007090001HQ) (explored) (CC BY-NC-SA 2.0)

Von Stefan Tuschen

Deutschland hat sich mit der Agenda 2030 dazu verpflichtet, [fn]Vgl. United Nations (2015a). [/fn] „umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen [zu] ergreifen“. Bekräftigt hat die Bundesregierung diese Verpflichtung durch die zügige Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens. [fn]Vgl. United Nations (2015b). [/fn] Die Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie führt im Bereich Klimaschutz beide Agenden zusammen. [fn]Vgl. Bundesregierung (2017a). [/fn] Das ist konsequent und begrüßenswert. Allerdings wird die Bundesregierung der gebotenen Dringlichkeit und der notwendigen Tragweite des Handelns bislang nicht gerecht. Dabei ist das nicht zuletzt eine Frage globaler (Klima-) Gerechtigkeit.

 

Klimagerechtigkeit lässt sich am anschaulichsten über ihre Negation definieren: Klimaungerechtigkeit herrscht, weil diejenigen Gesellschaften, die zu den Hauptverursachern des Klimawandels zählen, bislang kaum mit den zerstörerischen Auswirkungen für Menschen und Natur zu kämpfen haben. Außerdem haben sie sich schon Strategien zurechtgelegt, wie sie sich relativ gut an die Folgen anpassen können. Sie sind also weitgehend „resilient“. Das gilt in besonderem Maße für Industrieländer wie Deutschland, das schon seit vielen Jahren eine Anpassungsstrategie hat. [fn]Vgl. Bundesregierung (2008). [/fn] Auf der anderen Seite leiden diejenigen Menschen, die am wenigsten zu den Klimaveränderungen beigetragen haben, bereits heute und auch in Zukunft am meisten unter den Folgen. Klimawandel und Klimaschutz werden somit zu einer Frage von Gerechtigkeit und Solidarität.

 

Klimagerechtigkeit in der internationalen Politik

Im Kontext der internationalen Klima- und Nachhaltigkeitspolitik dominiert ein zwischenstaatliches, auf quantitativer Verteilung beruhendes Verständnis von Gerechtigkeit: Diejenigen Vertragsstaaten, die bei der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention als Industrieländer oder „entwickelte Länder“ galten, haben eine besondere Verantwortung, beim Klimaschutz und bei der Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen voran zu gehen. Darüber hinaus tragen sie ebenso eine Verantwortung, die „sich entwickelnden Länder“ bei deren Bemühungen um Klimaschutz und Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu unterstützen. Ein wichtiges Instrument ist hier die Bereitstellung internationaler Klimafinanzierung.

Die Auslegung und Ausbuchstabierung dieses am „Prinzip der gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten“ orientierten Verständnisses von Gerechtigkeit war einer der Knackpunkte bei den Verhandlungen des neuen globalen Klimaabkommens von Paris. In zunehmendem Maße sind es die wohlhabenden Ober- und Mittelschichten weltweit – in den Industriestaaten ebenso wie in den Schwellen- und sogar den Entwicklungsländern – die den Klimawandel weiter vorantreiben und gleichzeitig selbst ausreichend gegen seine Folgen gewappnet sind. Damit verschiebt sich auch die Verantwortung, für die Klimafolgen aufzukommen. Daran wird deutlich: Ein quantitatives, insbesondere rein zwischenstaatliches Verständnis von Gerechtigkeit und Verantwortlichkeiten greift zu kurz. Das Problem der Ungleichheit – global wie innerhalb von Staaten – rückt ins Zentrum und zeigt die Untrennbarkeit von ökologischer und sozialer Krise auf. Das bedeutet aber nicht, dass die Industrieländer wie Deutschland aus ihrer Verantwortung entlassen werden dürfen!

 

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Atmosphäre weiterhin kein globales Gemeingut

Versteht man die Atmosphäre als (globales) Gemeingut, [fn]Vgl. Edenhofer et al (2012). [/fn] haben die früh industrialisierten Länder bzw. Gesellschaften dieses über die Maßen und weit über ihre Nutzungsrechte hinaus verbraucht. Unter den Folgen leiden die verletzlichen Teile der Bevölkerung, insbesondere in den ärmsten Ländern und den kleinen Inselstaaten. Das gilt für die heute lebenden, aber auch mit Blick auf die zukünftigen Generationen. Klimagerechtigkeit schaffen heißt daher, nicht nur die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen, die wir bereits heute sehen und spüren, sondern ob der zu erwartenden Folgen in der Zukunft, jetzt erst recht etwas gegen die Ursachen zu unternehmen. Das Gemeingut Atmosphäre darf nicht länger von einigen wenigen zum Schaden aller missbraucht werden.

 

Symptom- statt Ursachenbekämpfung

Das Gegenteil scheint jedoch der Regelfall: „Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.“ [fn]Papst Franziskus (2015). [/fn] Die aktuell erstarkende Debatte über Climate Engineering bzw. Geoengineering kommt nicht von ungefähr. Doch eine Symptom- statt Ursachenbekämpfung zementiert nur die bestehenden Ungerechtigkeiten. Insbesondere die jungen Generationen versuchen vermehrt über den Rechtsweg, ihre Regierungen oder auch Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen, da sie den freiwilligen Selbstverpflichtungen nicht oder nur unzureichend nachkommen. Rund um den Globus gibt es eine wachsende Zahl von Klimaklagen. [fn]Vgl. Heinrich-Böll-Stiftung (2017). [/fn] Als wichtiger Hebel könnte sich da noch erweisen, dass das Paris-Abkommen seine Vertragsstaaten dazu anhält, bei allen Maßnahmen gegen den Klimawandel den menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. [fn]Vgl. United Nations (2015b). [/fn]

Vielen politisch Verantwortlichen geht es allzu leicht von den Lippen (und einige leugnen es vehement): „Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.“ So konstatiert es die Agenda 2030, und das Paris-Abkommen bekräftigt, dass der Klimawandel daher ein „gemeinsames Anliegen der Menschheit“ ist. Wenn der Fokus dann „nur“ auf der Bewältigung der Folgen liegt, ist das mehr als unzureichend. Dank Förderung von Resilienz müsste im besten Fall gar nichts verändert werden. Die weitaus größere Herausforderung liegt nämlich in der Bekämpfung der Ursachen des Problems. Nicht, weil diese nicht bekannt wären. Vielmehr, weil das Problem an der Wurzel zu packen ganz im Sinne des Wortes radikale ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen und entsprechende politische Maßgaben erfordert. Das erkennen die Regierungen im Grunde sowohl mit der Agenda 2030 als auch dem Paris-Abkommen an. Der Hype um die Resilienz birgt jedoch die Gefahr, dass genau diese „Wurzelbehandlung“ ausbleibt. Bei der Umsetzung der internationalen Vereinbarungen in nationale Politik und bei der Übersetzung in notwendig konsequentes Handeln wird die Größe der Aufgabe und der Herausforderung deutlich. Zumal Klimawandel und Armut sich genauso wenig getrennt voneinander betrachten lassen wie Umwelt- oder Klimagerechtigkeit auf der einen und soziale Gerechtigkeit auf der anderen Seite, genau wie die nationale nicht von der internationalen Ebene. Das hat im „Super-Jahr der internationalen Zusammenarbeit und Weichenstellung“ [fn]Spiegel (2015). [/fn] kein Dokument so klar in Worte gefasst wie die Enzyklika Laudato si' von Papst Franziskus. [fn]Papst Franziskus (2015). [/fn]

 

Deutschland muss mehr für den Klimaschutz tun – international…

Auf dem internationalen Parkett hat Deutschland in Sachen Klimaschutz (-politik) nach wie vor einen ziemlich guten Ruf. Sowohl bei den Verhandlungen der Agenda 2030 und der globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), als auch bei den Klimaverhandlungen vor und während der 21. Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP21) in Paris hat die Bundesregierung eine wichtige Rolle gespielt. Ebenso begrüßenswert ist, dass die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Programm der deutschen G20-Präsidentschaft durchaus prominent vertreten waren. [fn]Bundesregierung (2017b). [/fn] Das bedeutet leider nicht, dass die Ziele der Agenda 2030 und des Paris-Abkommens auch prominent auf der Agenda der Fachministertreffen stehen oder gar in deren Abschlussdokumenten Erwähnung und Unterstützung finden. Das Thema Klimafinanzierung wurde z.B. aus der Abschlusserklärung der G20 Finanzminister- und Notenbankgouverneure komplett gestrichen. [fn]G20 (2017). [/fn] Lediglich eine knappe Bekräftigung der Selbstverpflichtung, ineffiziente (sic! nicht sämtliche) Subventionen fossiler Energieträger zu überprüfen und auslaufen zu lassen, fand am Ende noch Erwähnung. Ohne allerdings ein konkretes Zieljahr zu definieren.

 

…wie auch national

Subventionen für fossile Energieträger spielen auch in Deutschland und mit Blick auf die Umsetzung der Agenda 2030 eine Rolle. „Was den Klimawandel betrifft, sind die Fortschritte leider sehr spärlich. Die Reduzierung von Treibhausgas verlangt Ehrlichkeit, Mut und Verantwortlichkeit vor allem der Länder, die am mächtigsten sind und am stärksten die Umwelt verschmutzen.“ [fn]Papst Franziskus (2015). [/fn] Also auch von Deutschland. Die Reduktion der Treibhausgase – einer der beiden selbst gewählten Indikatoren für die Umsetzung des SDG 13 – kommt allerdings nicht voran. Laut Nahzeitprognose des Umweltbundesamtes sind die Emissionen in 2016 sogar leicht gestiegen. [fn]Umweltbundesamt (2017). [/fn] Das Reduktionsziel von minus 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 ist mit einem Weiter-so-wie-bisher nicht zu erreichen. Dabei ist klar: Den weitaus größten Anteil am gesamten Ausstoß von Treibhausgasen hat Kohlendioxid. Der mit Abstand größte Teil dieser Emissionen wiederum entsteht in der Gewinnung von Strom und Wärme. Das geschah auch 2016 zu über 40 Prozent [fn]Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (2017). [/fn] durch die Verbrennung von Braunkohle aus deutschen Tagebauen und – größtenteils importierter – Steinkohle. [fn]Gesamtverband Steinkohle (2016). [/fn] Dennoch hat die Bundesregierung es vermieden, sowohl im Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 als auch im Klimaschutzplan 2050 – der anlässlich der COP22 in Marrakesch vorgelegten und gefeierten Langfriststrategie – ein ambitioniertes und konkretes Kohleausstiegsziel festzulegen. Es werden also weiterhin Subventionen fließen, ganz zu schweigen von den enormen gesellschaftlichen Kosten die durch den Braunkohletagebau entstehen (und die die Kosten für einen sozialverträgliche Ausstieg noch geringer erscheinen lassen, vgl. Kapitel II.07, Anm. d. Red.). [fn]Wronski/Fiedler (2015). [/fn] Auch in den Ländern, aus denen Deutschland seinen Steinkohlebedarf deckt, schlagen ökologische und soziale Folgen zu Buche, die mit der Verzögerung der Energiewende und der Verschleppung der Klimazielerreichung hierzulande zusammenhängen. Und weil das Klima ein komplexes, globales System ist, sind auch andere Länder davon betroffen. Selbst wenn die Bundesregierung ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung – der zweite Indikator in der Nachhaltigkeitsstrategie – tatsächlich (und nicht wie aktuell berechnet [fn]Kowalzig (2017). [/fn]) bis 2020 verdoppelte, stellt sich die Frage, welchen Effekt dieser Mitteleinsatz haben könnte, solange die Ursachen der Klimakrise nicht abgestellt werden.

Klimagerechtigkeit kann nicht erkauft, sie muss hergestellt werden. Das bedeutet, es muss aktiv etwas dafür getan werden – insbesondere jenseits von zählen und zahlen, also der rein quantitativen Dimension von zwischenstaatlicher (Verteilungs-) Gerechtigkeit. Ein wesentliches Handlungsprinzip muss dabei Achtung, Schutz und Förderung der Menschenrechte sein. Nicht nur ökonomische und finanzielle, auch sozial und regional spezifische Lasten ebenso wie Vorteile müssen fair und gerecht geteilt werden – in der internationalen, den nationalen und darunter organisierten Gemeinschaften. Daraus folgt, dass Entscheidungen über Klima-bezogene Maßnahmen nur dann zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen können, wenn sie Teilhabe – insbesondere der Betroffenen –, Transparenz und Rechenschaftspflicht ermöglichen. Auch hier können Klima- und Nachhaltigkeitspolitik Hand in Hand gehen und zu mehr Gerechtigkeit beitragen, muss doch die Agenda 2030 auf allen Ebenen umgesetzt werden, von der kommunalen bis zur globalen.

Stefan Tuschen
Stefan Tuschen
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Stefan Tuschen

Stefan Tuschen ist Referent in der Abteilung Lateinamerika bei Misereor.

Literature

Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (2017): Stromerzeugung nach Energieträgern 1990 – 2016, Stand: 07.02.2017. Berlin.
www.ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&fileName=20170207_brd_stromerzeugung1990-2016.pdf

Bundesregierung (2008): Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Berlin. www.bmub.bund.de/themen/klima-energie/klimaschutz/klima-klimaschutz-download/artikel/deutsche-anpassungsstrategie-an-den-klimawandel/?tx_ttnews%5BbackPid%5D=216

Bundesregierung (2017a): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Neuauflage 2016. Berlin.
www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/Nachhaltigkeit-wiederhergestellt/2017-01-11-nachhaltigkeitsstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=14

Bundesregierung (2017b): Schwerpunkte des G20-Gipfels 2017. Berlin.
www.g20.org/Content/DE/_Anlagen/G7_G20/2016-g20-praesidentschaftspapier-de.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Climate Equity Reference Project (2015): Fair Shares: A Civil Society Equity Review of INDCs. Berkeley, CA/Stockholm.
http://civilsocietyreview.org/report

Edenhofer, Ottmar et al. (2012): Die Atmosphäre als globales Gemeingut. In: Helfrich, Silke und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld, S. 473-478.
http://band1.dieweltdercommons.de/essays/edenhofer-die-atmosphare-als-globales-gemeingut/

G20 (2017): Communiqué. G20 Finance Ministers and Central Bank Governors Meeting, Baden-Baden, Germany, 17-18 March 2017. Berlin.

Gesamtverband Steinkohle (2016): Steinkohle 2016. Zuverlässig im Wandel. Herne.
www.gvst.de/site/steinkohle/pdf/GVSt_Jahresbericht_2016_korr_11-11-16.pdf

Heinrich-Böll-Stiftung (2017): Climate Justice – Can the courts solve the climate crisis? Tipping Point 2/5. Berlin.
www.boell.de/en/2017/03/30/tipping-point-25-climate-justice-can-courts-solve-climate-crisis?

Kowalzig, Jan (2017): Klimafinanzierung der Bundesregierung: So funktioniert die „Verdoppelung“. Berlin: Oxfam Deutschland.
www.deutscheklimafinanzierung.de/blog/2017/02/klimafinanzierung-der-bundesregierung-so-funktioniert-die-verdoppelung/

Papst Franziskus (2015): Laudato si'. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Rom.
http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html

Spiegel, Pirmin (2015): Von Addis über New York nach Paris. Warum die Klimakonferenz COP21 so wichtig ist. In: Misereor (Hrsg.): Mut zu Taten. Magazin 2.2015, S. 24-26.

Umweltbundesamt (2017): Klimabilanz 2016: Verkehr und kühle Witterung lassen Emissionen steigen. Pressemitteilung Nr. 09/2017 vom 20.03.2017. Dessau.
www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/klimabilanz-2016-verkehr-kuehle-witterung-lassen

United Nations (2015a): Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development. New York.
https://sustainabledevelopment.un.org/post2015/transformingourworld

United Nations (2015b): Paris Agreement. Paris. http://unfccc.int/files/essential_background/convention/application/pdf/english_paris_agreement.pdf

Wronski, Rupert und Fiedler, Swantje (2015): Gesellschaftliche Kosten der Braunkohle im Jahr 2015. Kurzstudie im Auftrag von Greepeace e.V. Berlin.
www.foes.de/pdf/2015-11-FOES-Gesellschaftliche-Kosten-der-Braunkohle.pdf