Von Oliver Hoffmann und Martina Purwins
Am 25. April 2015 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 die Himalaya-Region. Nepal war am stärksten betroffen: nach Angaben der Vereinten Nationen starben mehr als 8.000 Menschen, 191.000 Häuser wurden zerstört, 2,8 Millionen Menschen waren obdachlos. Nach einem internationalen Hilfeersuchen der Regierung Nepals haben die Johanniter sofort basismedizinische Versorgung vor Ort geleistet. Im Anschluss an die Nothilfephase leisten sie heute einen Beitrag zur langfristigen Verbesserung der Gesundheitssituation.
Die Nutzung von innovativen Lösungsansätzen, pilotiert durch die Zivilgesellschaft, führt zur Verbesserung des Zugangs marginaler Gruppen zum Gesundheitssystem. Damit leisten zivilgesellschaftliche Gruppen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung von SDG 3: „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten, Mütter- und Kindersterblichkeit senken, schwere Krankheiten bekämpfen.“
Am 25. April 2015 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 die Himalaya-Region. Nepal war am stärksten betroffen. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben mehr als 8.000 Menschen, 191.000 Häuser wurden zerstört, 2,8 Millionen Menschen waren obdachlos.
Nach einem internationalen Hilfeersuchen der Regierung Nepals haben die Johanniter innerhalb von 48 Stunden ein Team nach Nepal entsandt, um Erkundungen durchzuführen. Am 30. April folgte ein zweites, elfköpfiges medizinisches Notfallteam, um bei der basismedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der vom Erdbeben besonders betroffenen Region Sindhupalchok zu unterstützen. Insgesamt waren 16 eigens für derartige Einsätze ausgebildete ehrenamtliche Soforthelferinnen und Soforthelfer der Johanniter in Nepal im Einsatz. Das Team wurde durch die Koordinationsmechanismen des nepalesischen Gesundheitsministeriums und der Vereinten Nationen an ihren Einsatzort geschickt und war so ausgerüstet, dass es autark arbeiten konnte. Darüber hinaus organisierten die Johanniter vom Sammlungsraum Logistik und Training (SALT) in Frankfurt einen Hilfsgüterflug für das Spendenbündnis Aktion Deutschland Hilft (ADH). Die Johanniter lieferten mit diesem Flug Medikamente und medizinisches Verbrauchsmaterial an ein lokales Krankenhaus. Damit war die basismedizinische Versorgung von 10.000 Menschen für drei Monate sichergestellt. Auch die Verteilung von Grundnahrungsmitteln und von Schlafmatten, Decken, Küchenutensilien, Kleidung und Hygiene-Paketen an besonders betroffene Haushalte war in dieser Zeit eine überlebensnotwendige Maßnahme. Nach der dreiwöchigen Nothilfephase hatte sich die medizinische Versorgungslage vor Ort bereits so weit verbessert, dass die Übergangsphase eingeleitet wurde.
Um die Gesundheitsversorgung zu stabilisieren, haben die Johanniter Ende 2016 damit begonnen, zwei Gesundheitsstationen wiederaufzubauen, die durch die Beben zerstört wurden. Nach der Ausstattung mit Inventar und Medikamenten wurden die Stationen dem staatlichen Gesundheitsministerium übergeben.
Entwicklungszusammenarbeit – Innovatives Gesundheitsprogramm
Im Rahmen eines länger angelegten Programms fokussiert sich die laufende Folgemaßnahme methodisch auf die Schwerpunkte Prävention, frühe Erkennung von Erkrankungen und schnellere Behandlung. Ziel ist es dabei, die Gesundheitsversorgung insbesondere von Müttern und Kindern in den Zielgebieten weiter zu stabilisieren.
Unsere Partnerorganisation Nyaya Health Nepal (NHN) schult dafür lokale Mitarbeiterinnen in Präventivmaßnahmen und verbesserter Patientenbehandlung. Die wiederaufgebauten Gesundheitsstationen sind im bergigen Nepal immens wichtig, um schwere und lange Wegstrecken für die Menschen zu verkürzen. Um diese nach Möglichkeit ganz zu vermeiden, werden nun auch mobile Gesundheitshelferinnen in den folgenden Bereichen eingesetzt:
1) Regelmäßige Hausbesuche: Der Gesundheitszustand aller schwangeren Frauen, Kleinkinder, und chronisch Kranker wird bei regelmäßigen Hausbesuchen durch Gesundheitshelferinnen überprüft und mittels einer von unserer Partnerorganisation entwickelten Gesundheits-App vor Ort in ein Smartphone eingegeben.
2) Beratung & Überweisung: Patienten werden dabei bezüglich ihrer Medikamenteneinnahme und/oder weiterer Maßnahmen beraten. Neu erkrankte Patienten werden nach Bedarf an örtliche Gesundheitseinrichtungen überwiesen. Junge Frauen und Mütter erhalten Beratung über Familien- und Geburtenplanung.
3) Gemeinde-basierte Maßnahmen: An den Gesundheitsstationen leiten die Gesundheitshelferinnen Gruppen für Schwangerenvorsorge und Geburtennachsorge an. Diese finden zusätzlich zu den Vorsorge-Hausbesuchen statt.
Die Gesundheitshelferinnen sind bezahlte, fest angestellte Vollzeitkräfte. Sie werden an den zuständigen Kliniken nach strengen Richtlinien für ihre Tätigkeit ausgebildet. Die Gesundheitshelferinnen erhalten ein dreiwöchiges fachliches Training und werden zwei Wochen speziell im Bereich mobile Datenerhebung ausgebildet und regelmäßig von Krankenschwestern bei Hausbesuchen unterstützt. Mit einem Smartphone, welches sie mit einer von NHN entwickelten Gesundheits-App erhalten, erheben die Gesundheitshelferinnen bei ihren Hausbesuchen Patientendaten. Mit Hilfe einer Identifikationsnummer der Haushalte werden die Anamnesen der Patienten direkt vor Ort erfasst. Die App erinnert sie bei den Hausbesuchen an notwendige Basisfragen und Kontrollen, wie zum Beispiel Blutdruckmessung. Die Daten werden offline eingegeben und bei Erreichen eines Netzes online übertragen. Damit bekommt die Krankenschwester die Informationen der besuchten Patienten, und bei schwereren Fällen kann das weitere Vorgehen besprochen werden. Aber auch präventive Maßnahmen gehören zum Programm, genauso wie Beratung zur Familienplanung. Dafür nutzen die Gesundheitshelferinnen unter anderem kostenlose Schwangerschaftstests, mit deren Hilfe sie frühzeitig schwangere Frauen erfassen können. Die Frauen erhalten umgehend Beratung, und werden dann monatlich besucht, um die Schwangerschaft zu begleiten und eventuelle Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Bei Neugeborenen wird beispielsweise regelmäßig die Atmung kontrolliert, um Lungenentzündungen frühzeitig zu erkennen.
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Programmansatz und Beitrag zu den SDGs
Dieses Programm verbessert die Gesundheitsvorsorge und Krankheitsversorgung dezentral. Unsere Partnerorganisation NHN arbeitete in der Planungsphase und bei der Umsetzung eng mit der Bevölkerung, den Verantwortlichen der jeweiligen Gemeinden und mit dem nepalesischen Gesundheitsministerium zusammen. In der Vorbereitungsphase wurde das Programm auf Gemeindeebene mit allen Beteiligten erörtert und in das Gesundheitssystem auf Distrikt- und Staatsebene eingebettet. Dieser Aspekt ist auf der Distriktebene besonders stark, da die Partnerorganisation sowohl die operative Verantwortung für die Verwaltung des Distriktkrankenhauses trägt, als auch gemeindebasierte Gesundheitsprogramme umsetzt. Die Maßnahmen und deren Umsetzung wurden in Zusammenarbeit mit dem Social Welfare Council (dem Ministerium für Frauen, Kinder und Soziales zugeordnet), und den Koordinierungsgremien für Interventionen im Gesundheitssektor konzipiert, und in enger Absprache mit dem Gesundheitsministerium ausgearbeitet. Andere Initiativen versuchen, diese Ansätze aufzunehmen und in Zusammenarbeit mit dem nepalesischen Gesundheitsministerium zu replizieren. Damit arbeiten diese ebenfalls an der Erreichung des Gesundheitszieles der SDG.
Das Programm trägt sowohl zur Erreichung des Gesundheitszieles für nachhaltige Entwicklung als auch zur Umsetzung von Nepals Strategie für den nationalen Gesundheitssektor für den Zeitraum 2015-2020 (National Health Sector Strategy, NHSS) bei.
Der NHSS-Strategie liegen dabei vier strategische Grundsätze zu Grunde:
1. Gleichberechtigter Zugang zu medizinischer Versorgung
2. Qualitativ hochwertige medizinische Versorgung
3. Reform der Gesundheitssysteme
4. Sektorübergreifender Ansatz.
Politische Rahmenbedingungen und Herausforderungen
Im September 2015 trat in Nepal eine neue Verfassung in Kraft, gefolgt von Wahlen auf lokaler, Provinz- und nationaler Ebene in 2017. Die Wahlen auf lokaler Ebene fanden zum ersten Mal seit 20 Jahren statt.
Mit dem Abschluss der Wahlen im Dezember 2017 wurde der Weg zu einem föderalen Staat eingeschlagen, und im Zuge dessen Verantwortlichkeiten auf allen administrativen Ebenen neu aufgeteilt. Diese Umstrukturierung stellt eine Herausforderung für die vielen neuen, aber auch die erfahrenen politischen Regierungsvertreter dar; insbesondere jedoch für Vertreter der marginalisierten ethnischen Gruppen (z.B. Dalits) und Frauen.
Herausforderungen zeichnen sich auch in den bisher noch unklaren Rollenverteilungen und Zuständigkeiten ab. So gibt es zum Beispiel im Projektgebiet bisher eine Parallelstruktur zu den Gesundheitshelferinnen (Community Health Workers): Female Community Health Volunteers sind Ehrenamtliche, die ebenfalls die gemeindenahe Gesundheitsversorgung verbessern sollen. Sie arbeiten allerdings nur in der Gesamtgemeinde, nicht auf Haushaltsebene. Anders als die Gesundheitshelferinnen von NHN werden sie nicht bezahlt und auch nicht kontinuierlich betreut und fortgebildet, wie es bei den Gesundheitshelferinnen von NHN der Fall ist.
Das in der Entwicklungszusammenarbeit angesiedelte Programm der Gesundheitshelferinnen ging auf eine Initiative der Zivilgesellschaft zurück. Diese versucht, das Recht auf Gesundheit für alle dezentral mit der bestmöglichen Qualität zu erreichen. Staatliche Stellen hatten dieses Vakuum nicht ausgefüllt. Eine langfristige Bewertung dieses innovativen Ansatzes hängt sowohl vom Erfolg des Dezentralisierungsprozesses, als auch von der Prioritätensetzung der neuen Regierungsvertreter ab.
Staatliche Verantwortung und die Rolle der Zivilgesellschaft
Im Bereich der humanitären Hilfe gibt es für Soforthilfeeinsätze klare Strukturen, die von der internationalen Staatengemeinschaft festgelegt wurden. Nach dem Erdbeben war das nepalesische Gesundheitssystem mit der Versorgung der vielen Verletzten überfordert. Der Staat Nepal stellte ein internationales Hilfeersuchen. Erst danach konnten die zivilgesellschaftlichen Organisationen – koordiniert vom nepalesischen Gesundheitsministerium und UN-OCHA – tätig werden und helfen. Dieses System wird zurzeit weiter ausgebaut mit der Zertifizierung von medizinischen Teams (interessanterweise gleichermaßen von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Stellen). [fn] Als erste deutsche Organisation legte die Johanniter-Auslandshilfe im Juni 2017 erfolgreich eine Prüfung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ab und ist seitdem offiziell als Emergency Medical Team I (EMT) klassifiziert. [/fn] Hieran schließt die Umsetzung des Clustersystems in Krisensituationen an, in dem im Gesundheitsbereich Vertreter der Weltgesundheitsorganisation gemeinsam mit Vertretern der Regierung des betroffenen Staates anhand einer schnellen Analyse der Notlage entscheiden, welches medizinische Team wo und mit welcher Aufgabe zum Einsatz kommt. Nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen haben sich durch den Code of Conduct, Core Humanitarian Standard und die Sphere Prinzipien und Standards selbst verpflichtet, qualitativ hochwertig zu arbeiten. So wird das Recht des Menschen auf würdevolles (Über-) Leben dadurch erreicht, dass Nichtregierungsorganisationen die Erreichung von im Konsensprinzip erarbeiteten Sphere-Minimalstandards in ihrer Arbeit anstreben.
Fazit
Am Ende geht es in den aufgeführten Beispielen aus Sofort- und Entwicklungshilfe in Nepal um das Gleiche: Wenn der Staat als Verantwortlicher für seine Bürger das Recht auf Gesundheit nicht erfüllen kann, kann die Zivilgesellschaft einspringen. Dafür braucht es, vor Allem im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit klarere Entscheidungswege, die im humanitären Bereich schon besser ausgebildet sind. Allerdings sollten bei der Hilfe durch die Zivilgesellschaft möglichst keine staatlichen Strukturen ersetzt werden. Die Nutzung von innovativen Lösungsansätzen, pilotiert durch die Zivilgesellschaft, führt zur Verbesserung des Zugangs marginaler Gruppen zum Gesundheitssystem. Damit leisten zivilgesellschaftliche Gruppen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung von SDG 3: „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten, Mütter- und Kindersterblichkeit senken, schwere Krankheiten bekämpfen.“
Oliver Hoffmann
Oliver Hoffmann arbeitet als Fachberater für Public Health bei der Johanniter Auslandshilfe.
Martina Purwins
Martina Purwins ist Leiterin des Landesbüros Nepal bei der Johanniter Auslandshilfe.