11 — Wohnraum für Alle: Das Mietshäuser Syndikat

Das Vier-Häuser-Projekt in Tübingen, eine ehemalige LBBW-Immobilie, wurde dem Spekulationsmarkt gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat entzogen.
Das Vier-Häuser-Projekt in Tübingen, eine ehemalige LBBW-Immobilie, wurde dem Spekulationsmarkt gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat entzogen.
© wohnprojekte-tuebingen.mtmedia.org/Marc Amann

Von Jan Bleckert

Die Bundesregierung hat mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auch dem Ziel zugestimmt, „bis 2030 den Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum und zur Grundversorgung für alle sicher[zu]stellen.“ Dass es damit auch in einem reichen Land wie der Bundesrepublik zunehmend Probleme gibt, dazu haben nicht zuletzt die steigenden Mietpreise der vergangenen Jahre beigetragen. Gerade für sozial Schwächere, aber zunehmend auch für Menschen mit mittleren Einkommen steht Wohnraum nicht mehr zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung. Ein Zustand, zu dem auch eine eher zurückhaltende Förderung sozialen Wohnungsbaus beigetragen hat. Dass man aber nicht auf größere Investitionen der öffentlichen Hand oder von Immobilienunternehmen warten muss, zeigt das Mietshäuser Syndikat

Das Mietshäuser Syndikat ist das Bindeglied in einem Verbund von mehr als 130 selbstorganisierten Hausprojekten und Projektinitiativen, die sich der Idee eines Solidartransfers von erfahrenen zu neu entstehenden Projekten verpflichtet haben. Die generelle Autonomie der Projekte wird durch ein Vetorecht des Mietshäuser Syndikats gegen Zugriffe auf das Immobilienvermögen eingeschränkt, um eine mögliche Reprivatisierung und erneute Vermarktung der Häuser zu verhindern.

 

Die simple Idee: Menschenwürdiger Wohnraum für Alle

Eine simple Idee ist Leitgedanke für das Mietshäuser Syndikat, das seinen Ursprung im Freiburg der 1980er Jahre und der dort aktiven Hausbesetzer*innen-Szene hat. Dieser Leitgedanke – menschenwürdiger Wohnraum, das Dach über’m Kopf, für Alle – hat in Zeiten fortschreitender Immobilienspekulation und Renditemaximierung durch unterschiedliche Akteure auf dem Wohnungsmarkt erheblich an Bedeutung gewonnen. Bezahlbare bzw. sozialverträgliche Mietpreise für alle sind zu einem Politikum geworden.

Das Motto des Mietshäuser Syndikats „Selbstverwaltung – Unverkäuflichkeit – Solidarität“ bietet den ideologischen Überbau für mittlerweile über 130 Wohnprojekte und 20 Projektinitiativen in Deutschlands. Sie alle wollen einer renditeorientierten Verwertungslogik eine Alternative entgegenzusetzen. Die Projekte erhalten langfristig bezahlbaren Wohnraum mit stabilen Mieten, und das in gemeinschaftlicher Selbstorganisation. Ermöglicht wird das dadurch, dass die Immobilie über ein Rechtskonstrukt unverkäuflich und somit dem Immobilienmarkt entzogen wird.

Dieses Rechtskonstrukt bildet das Herzstück des Mietshäuser Syndikat-Modells. Danach ist jedes der bestehenden Hausprojekte in einem eigenen Hausverein organisiert und rechtlich selbstständig. Die jeweilige Immobilie des Projekts bleibt im Eigentum eines Unternehmens in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Die jeweilige Haus-GmbH hat zwei Gesellschafterinnen: den Hausverein sowie die Mietshäuser Syndikats GmbH als eine Art Kontroll- und Wächterorganisation. Beide verfügen in eigentumsrechtlichen Fragen, wie zum Beispiel Hauskauf, Umwandlung in Eigentumswohnungen u.ä. über eine Stimme. So ist es im Gesellschaftsvertrag der Haus-GmbH festgelegt. Dies hat zur Folge, dass in Grundsatzfragen nur mit Zustimmung beider Gesellschafter entschieden werden kann. Weder der Hausverein noch die Mietshäuser Syndikats GmbH können überstimmt werden.

Allerdings bleibt das Stimmrecht der Mietshäuser Syndikats GmbH ist auf grundsätzliche Fragen beschränkt. Mit dieser des asymmetrischen Stimmrechtsverteilung bleibt die vollständige Selbstorganisation des Projekts sichergestellt. Der Hausverein hat in allen anderen Fragen alleiniges Stimmrecht. Diese können nur die Menschen beantworten, die im Hausprojekt wohnen, leben und arbeiten.

Auch ein Ausstieg des Hausvereins oder eine feindliche Übernahme sind in dieser Rechtskonstruktion berücksichtigt. So könnte zwar der Hausverein die Gesellschaftsbeteiligung kündigen und aus der Haus-GmbH aussteigen, doch verbliebe die Mietshäuser Syndikats GmbH nach wie vor als Gesellschafterin samt Immobilienvermögen. Weiterhin ist im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass bei Ausstieg kein Anspruch auf Anteile an der Wertsteigerung der Gesellschafterinnen besteht. Damit wird dem wirtschaftlichen Anreiz zum Ausstieg der Boden entzogen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Mietshäuser Syndikats-Modells ist der Solidartransfer. Dieser Transfer findet sowohl materiell als auch immateriell statt. Auf der materiellen Seite verpflichtet sich jedes Projekt, einen bestimmten Solidarbeitrag in einen Fond zu bezahlen, gemessen an der jeweiligen projektbezogenen Wohn- und Nutzfläche. Der Solidarfonds ist ein Sondervermögen, welches vom Mietshäuser Syndikat verwaltet wird. Aus diesem Sondervermögen wurden in den vergangenen Jahren Stammkapitaleinlagen des Mietshäuser Syndikats an neuen Haus-GmbHs, Infrastrukturkosten und gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit finanziert.

Selbstverständlich gibt es auch andere materielle Formen des Solidartransfers zwischen den einzelnen Haus- und Wohnprojekten. So springen etablierte Projekte mit Krediten ein, um Finanzierungslücken beim Hauskauf eines neuen Projektes zu schließen. Teilweise übernehmen etablierte Projekte auch die anfänglich höheren anfallenden Verwaltungs- und Büroarbeiten für neu entstehende Projekte oder es bestehen Projektpartnerschaften. Mindestens genauso wichtig wie der materielle Solidartransfer ist aber der immaterielle. Diese drückt sich zum Beispiel im permanenten Wissensaustausch zwischen den Projekten aus.

 

Solidarische Finanzierungsmodelle

Alle Solidarität zwischen den Projekten finanziert allein noch kein Haus- oder Wohnprojekt. Das Geld, das nicht selbst aus dem jeweiligen Projekt gestellt werden kann, wird bei einer Bank geliehen. Für Banken beinhaltet eine Immobilienfinanzierung ein recht überschaubares Risiko, werden die Sicherheiten zum einen über einen Grundbucheintrag bis hin zum Zugriff auf die Immobilie sichergestellt. Auf der anderen Seite stellen die monatlichen Mieteinnahmen des Projekts eine sehr solide Einnahmequelle dar.

Doch Banken wollen in der Regel einen Eigenkapitalnachweis in Höhe von rund einem Drittel der zu bewältigenden Finanzierungssumme. Da sich Banken in der Regel das Geld auch nur leihen, kam schon früh der Gedanke auf, den Weg zwischen eigentlichem Geldgeber und Projekt abzukürzen. So leihen seit vielen Jahren sympathisierende Privatpersonen oder Gruppen den Haus-GmbHs ohne den Umweg über Finanzintermediäre das Geld direkt. Das reduziert nicht nur die zu bewältigenden Kapitalkosten und hält die Mieten auf planbarem und erträglichem Niveau, sondern schließt auch die Finanzierungslücke, da das direkt geliehene Geld von zahlreichen Banken als Eigenkapital ersetzend akzeptiert wird.

Außerdem ermöglicht es das Modell des Direktkredits auch Menschen außerhalb des Projektes oder des Mietshäuser Syndikats, Hausprojekte solidarisch zu unterstützen. Viele, die es sich leisten können, verlangen nur niedrige Zinsen oder verzichten sogar ganz auf eine Rendite. Die Rückzahlung der Bankkredite erfolgt nicht nur durch die Einnahmen aus der Miete, sondern meist auch durch das Annehmen neuer Direktkredite. Durch diese Art der Umschuldung können die Tilgungskosten und damit auch die Mieten niedrig gehalten werden.

Natürlich sind Direktkredite nicht risikofrei. Haus- und Wohnprojekte sind keine Banken und können und dürfen entsprechend keine Sicherheiten bieten. Auch wenn sich die Syndikatsidee bisher als Erfolgsmodell erwiesen hat, kann das Scheitern einzelner Projekte nie ausgeschlossen werden.

 

Regionale und internationale Zusammenarbeit

Um das Risiko eines Scheiterns der Projekte zu minimieren und um die immer weiter anwachsende Struktur des Mietshäuser Syndikats mit Leben, Ideen und Vorschlägen zu füllen und zu stärken, haben sich in einigen Regionen Kontakt -, Beratungs- und Anlaufstellen etabliert. Diese Stellen nennen sich Regionale Koordination. Es gibt sie aktuell in den Regionen

  • Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
  • Berlin-Brandenburg
  • Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg
  • Nordrhein-Westfalen
  • Mittelhessen, Region Marburg und Gießen
  • Rhein-Main
  • Rhein-Neckar
  • Baden-Württemberg, Region Tübingen und Stuttgart
  • Baden-Württemberg, Südbaden, Region Freiburg
  • Bayern

Gleichzeitig sind diese Stellen auch die Säulen des Mietshäuser Syndikats in der jeweiligen Region. Sie übernehmen die ehrenamtliche Beratungs- und Unterstützungsarbeit für neu entstehende Projekte und sorgen häufig für die politische Partizipation der Haus- und Wohnprojekte in der Region. Neben der Arbeit in der Regionalen Koordination ist die Mitarbeit in einer projektübergreifenden Arbeitsgruppen möglich. Es gibt Themen-AGs zur Geflüchtetensituation, zu Konflikten und Sozialem, zur Struktur des Mietshäuser Syndikats und zur internationalen Zusammenarbeit.

Letztere hat in den letzten Jahren eine wachsende Zahl von Anfragen bearbeitet. Dem Wunsch, das Modell eins zu eins in andere Länder zu übertragen, stehen natürlich verschiedene Rechtssysteme gegenüber. Trotzdem haben Aktive begonnen, syndikatsähnliche Modelle in ihren Ländern anzustoßen, um Häuser dem Immobilienmarkt zu entziehen und selbstbestimmtes und sozialverträgliches Wohnen möglich zu machen. In Frankreich, den Niederlanden und Österreich wurden solche Modelle bereits erfolgreich etabliert. Diese Projekte und auch neue Interessierte aus anderen europäischen Ländern nehmen immer wieder an den Mitgliederversammlungen des Mietshäuser Syndikats teil.

Die Attraktivität des Syndikats-Modells ergibt sich aus der individuellen Ausgestaltung der einzelnen Projekte: die Gründergeneration kann zum einen bestimmte Kriterien innerhalb ihres Projektes festlegen. Zum anderen ist die Autonomie und Selbstverwaltung des Projekts immer sichergestellt. Hinzu kommen natürlich die Unveräußerlichkeit der Immobilie und die projektübergreifende Solidarität. Außerdem entkoppelt das Mietshäuser Syndikatsmodell mit dem Modell der Direktkredite die Verbindung von Investition mit materiellen Werten und den Mitbestimmungsrechten innerhalb des Projektes.

 

Selbstverwaltung – Unverkäuflichkeit – Solidarität

Mit dem Drei-Säulen-Modell „Selbstverwaltung – Unverkäuflichkeit – Solidarität“wird der Spekulation mit Wohnraum etwas konkret Anwendbares entgegengesetzt. Das Mietshäuser Syndikat hat die vielen verschiedenen Problemfelder des Wohnungsmarktes und die Probleme einer Projektrealisierung mitgedacht und strukturelle Antworten entwickelt. Natürlich kann diese Struktur nicht alle Problemfragen – gerade wenn sie zwischenmenschlicher Natur sind oder in der Zukunft liegen – umfassend beantworten. Die ehrenamtlich Aktiven im Mietshäuser Syndikat füllen die Struktur mit Leben und reagieren zum Beispiel auf gesetzliche Neuerungen.

Eine solche relevante Reform war bspw. die Neuordnung des Kapitalmarkts, wie sie ab 2014 geplant waren. Von den Neuerungen wäre auch das Syndikat betroffen gewesen, da Direktkredite (aber auch andere Finanzierungsformen, wie bspw. Crowdinvest) unter Umständen nicht mehr möglich gewesen wären. Am Ende gab es Ausnahmeregelungen für soziale Projekte, die das Modell der Direktkredite weiterhin ermöglichen. Solche gesetzlichen Neuerungen haben das größte Risikopotential für das Mietshäuser Syndikats Modell.

Weitere Informationen unter
www.syndikat.org

Jan Bleckert
Jan Bleckert
Name

Jan Bleckert

Jan Bleckert ist seit einigen Jahren im bundesweit tätigen Berater*innen-Netzwerk des Mietshäuser Syndikats aktiv und hat zahlreiche Projekte im Verbund beraten.