7 — Energie in Bürger*innenhand

© Bündnis Bürgerenergie e.V./Jörg Farys.
© Bündnis Bürgerenergie e.V./Jörg Farys.

Marco Gütle im Interview mit Elisabeth Staudt

Mit den Sustainable Development Goals hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den „Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle“ zu sichern, und das bis 2030. In Sachen erneuerbarer Energien gilt die Bundesrepublik dabei vielen noch immer als Vorzeigeland. Dafür Verantwortlich ist nicht zuletzt eine von Bürgerinnen und Bürgern getragene Bewegung, die Energie aus nachhaltigen Quellen produziert und zu den Kundinnen und Kunden bringt. Bei allen Erfolgen sieht sich die „Bürgerenergie“ zahlreichen Herausforderungen gegenüber, von der Marktmacht großer Konzerne bis hin zur Struktur des Strommarkts.

 

Für das Bündnis Bürgerenergie geht eine nachhaltige und klimafreundliche Versorgung mit Strom, Wärme und Mobilität Hand in Hand mit einer Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Warum ist das so?

Überspitzt kann man sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Energiewende erfunden haben. Ohne die Bürgerinnen und Bürger, die selbst etwas auf die Beine gestellt haben, hätten wir die Erfolge nicht, die wir heute haben. Es gab natürlich gute Gesetze, die das unterstützt haben. Aber die Konzerne und andere Akteure haben am Anfang nicht mitgemacht und haben gedacht, das lohnt sich nicht. Da haben die Bürgerinnen und Bürger, die etwas gegen Klimawandel und Atomenergie machen wollten, einfach angefangen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Anlagen, die man für erneuerbaren Strom braucht, immer günstiger geworden sind; einfach dadurch, dass viele Leute diese Technologie gekauft haben. Dadurch, dass Forschung und Entwicklung angetrieben wurden. Genauso bei der Windenergie. Da haben die ersten Pioniere angefangen, auf irgendwelche Äcker Propeller zu stellen und daraus sind Konzerne wie Enercon hervorgegangen.

Was uns ganz wichtig ist: Bei Energie geht es nicht nur um ein Produkt, das wir im Supermarkt kaufen, sondern das uns ganz elementar betrifft. Ohne Strom und Wärme geht überhaupt nichts bei uns. Und deswegen ist es auch extrem wichtig, dass dieses Produkt von Bürgerinnen und Bürgern kontrolliert wird. Hier liegt das Hauptargument für die Bürgerenergie. Dass Bürgerinnen und Bürger selbst darüber entscheiden, wie ihre Energie gemacht wird.

Das andere Argument ist, dass wir die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich brauchen. Die Energiewende ist eine riesige Aufgabe. Gerade in Deutschland, aber auch überall auf der Welt. Wenn wir diese Herausforderung Technokrat*innen und Konzernen überlassen, dann wird sich – auch wenn man sich das wünscht – die ganze Dynamik, die wir für eine Energiewende brauchen, überhaupt nicht entwickeln. Wir müssen den Einzelnen und die Einzelne mitnehmen, sie einbinden und ihnen Handlungsmöglichkeiten bieten. Anders werden wir nicht erfolgreich sein.

Ihr vereint in eurem Bündnis über 500.000 Energiebürger aus ganz Deutschland. Was sind für Euch besondere Erfolgsgeschichten in der bisherigen Arbeit?

Es gibt bereits einige Regionen in Deutschland, die sich durch einen hohen Anteil von erneuerbaren Energien – bilanziell zu 100 Prozent – und einem hohen Anteil von Bürgerenergie auszeichnen. Das gibt es z.B. in Wolfhagen, einer Kleinstadt in Nordhessen. Der lokale Energieversorger gehört zu 75 Prozent der Stadt und zu 25 Prozent einer Genossenschaft, also einer Bürgerenergiegesellschaft. Dort haben sie sogar den Stromnetzbetrieb übernommen. Das heißt, auch die Infrastruktur wird wieder von Bürgerinnen und Bürgern betrieben und kontrolliert. Vor Ort können sie sich bilanziell zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgen. Das ist ein super Beispiel. Im hohen Norden, in Nordfriesland, gibt es wiederum sehr viele Bürgerwindenergieprojekte. Bürgerwindparks nennen sie sich und produzieren mehr als genug Energie für die Region. Das ist ein riesen Erfolg.

Ansonsten trägt uns vor allen Dingen die Gesamtheit der Initiativen und Projekte. Als wir angefangen haben, gab es den Begriff der Bürgerenergie nicht so richtig. Es ist bereits ein Erfolg dieser Organisationsgründung, dass es jetzt einen Namen gibt für dieses Phänomen, das es schon lange vorher gab. 2012 hat unsere Organisation eine Umfrage in Auftrag gegeben. Dabei kam heraus, dass 50 Prozent der erneuerbaren Energieanlagen mittelbar und unmittelbar in der Hand von Bürgerinnen und Bürgern sind. Das ist wirklich eine beeindruckende Zahl; über die reden alle. Das war den meisten gar nicht bewusst, die sich in dem Bereich engagiert haben. Die haben mit Überzeugung für die Sache gekämpft und lokal was gemacht. Aber dass sie wirklich zur Hälfte für die Erfolge der Energiewende in Deutschland verantwortlich sind, das war neu.

Kann das deutsche Beispiel einen Vorbildcharakter für andere Länder haben?

Klar, wir sind ein großes Vorbild – das klingt natürlich gleichzeitig ganz schön paternalistisch. Aber man muss, glaube ich, schon mit einiger Berechtigung sagen, dass die Idee, dass Bürgerinnen und Bürger ihren Strom selber machen und sich ihre Energie selbst bereitstellen können, vollkommen exportwürdig ist. Das ist übrigens nicht alleine eine deutsche Idee, sondern wird auch in vielen anderen Ländern praktiziert, z.B. in Dänemark oder in Belgien. Da gibt es auch Kooperativen, die sich stark damit beschäftigt haben, weil sie etwas tun wollten gegen Atomkraft. Und natürlich muss am Ende das Ziel sein, dass man voneinander lernt. Es kann nicht nur darum gehen, einfach Erfolgsrezepte zu exportieren und eins zu eins umzusetzen. Die lokalen Besonderheiten und Zusammenhänge spielen immer eine große Rolle. Es gibt tolle Praxiserfahrungen im Ausland, die könnten wir in Deutschland gar nicht machen. Zum Beispiel wie wir ein Stromnetz mit 100 Prozent Erneuerbaren betreiben. Bei diesen Punkten ist es wichtig, dass man im Austausch bleibt.

Um wirklich Vorbildcharakter zu haben, um das deutsche Beispiel wirklich erfolgreicher zu machen, braucht es deutlich mehr Anstrengungen von deutscher und internationaler Seite. Beispielsweise ist es aktuell so, dass in der EU ein Paket von Richtlinien und Verordnungen zur Energiepolitik verhandelt wird, das Clean Energy Package. Spannend ist, dass in Brüssel verstanden wurde, wie wichtig es ist, Bürgerinnen und Bürgern eine Teilhabe an der Energiewende zu ermöglichen. Da sieht man, wie etwas, das in Deutschland entstanden ist, und gerade leider an Schwung verliert, über diesen Umweg wieder zu uns zurückkommt.

Mit den SDGs hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den „Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle“ zu sichern, und das bis 2030. Wie sind die bisherigen Fortschritte in Deutschland zu bewerten?

Ich würde die einzelnen Aspekte getrennt betrachten. Zur Nachhaltigkeit: Im Stromsektor haben wir Fortschritte gemacht, da sind wir im Vergleich zu anderen Ländern zumindest auf dem richtigen Weg. Aber da ist noch viel, viel mehr möglich und nötig. Wir brauchen bis 2020 einen Kohleaussteig. Wir brauchen bis 2030 100 Prozent Erneuerbare im Stromsektor. Was Mobilität und Wärme angeht, sind wir noch am Anfang. Das zu den Fortschritten in der Performance.

Was Verlässlichkeit angeht in Deutschland, sind wir in einer Luxusposition. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht jedes Jahr einen Index der durchschnittlichen Ausfallzeiten in Deutschland. Das sind durchschnittlich zehn Minuten im Jahr. Das merken die meisten wahrscheinlich gar nicht, weil sie schlafen. Das heißt, Verlässlichkeit ist überhaupt kein Problem.

Zur Bezahlbarkeit: Da sieht es nicht so gut aus, wie es in einem reichen Industrieland wie Deutschland aussehen könnte, Stichwort Energiearmut. Das ist eine sozialpolitische Frage. Wir haben dafür auch keine Patentlösung. Auf jeden Fall sehen wir klaren Handlungsbedarf vonseiten der Politik. Generell glauben wir, dass mit einem sinnvoll gestalteten Strommarkt für erneuerbare Energien mit einer hohen Bürgerbeteiligung die Preise auch bezahlbarer würden. Wir haben im Moment einen Strommarkt, der überhaupt nicht für die Erneuerbaren funktioniert. Die EEG-Umlage ist gestiegen in den letzten Jahren. Das liegt nicht daran, dass die Erneuerbaren so teuer sind, sondern weil der Strommarkt die Erneuerbaren nicht ausreichend vergütet. Wir versprechen uns von einer neuen Form der Energiepolitik auch eine bessere Bezahlbarkeit von Strom.

Bürgerenergie wird von Leuten gemacht – das haben Untersuchungen gezeigt – die hauptsächlich besser gebildet, sozio-ökonomisch besser gestellt und überwiegend männlich sind. Wenn es um Gender geht, gibt es bei der Bürgerenergie großen Handlungsbedarf. Zu der Frage der Vereinbarkeit der ökologischen und sozialen Dimension haben wir bereits an verschiedenen Lösungen gearbeitet. Es ist nur so, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen das im Moment nicht zulassen. Zum Beispiel gibt es viele Eigenheimbesitzer, die haben eine Solaranlage auf dem Dach für den Eigenverbrauch. Dadurch haben sie geringere Energiekosten. Vergleichbares gibt es für Mietshäuser in Städten nicht. Es wird zwar gerade eine neue Regelung eingeführt.

Aber das ist nicht das, was wir uns unter Mieterstrom vorstellen. Nämlich, dass mehrere Mietparteien in einem Haus die Möglichkeit haben, zusammenzugehen und sich mit einer Solaranlage selbst zu versorgen, ohne dass sie EEG-Umlage und andere Kosten zahlen müssten. Das wäre eine umwelt- und sozialpolitisch sinnvolle Maßnahme. Darauf warten wir noch.

Welche Hürden stehen dem größeren Erfolg einer nachhaltigen Bürgerenergie im Wege? Welche politischen Rahmenbedingungen sind dafür wichtig?

Das größte Hindernis ist, dass die Rahmenbedingungen für das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern im Stromsektor besonders und allgemein in der Produktion von erneuerbaren Energien immer schlechter geworden sind. Wir erleben wettbewerbliche Ausschreibungen, die per se große Konzerne bevorzugen. In den allermeisten Erzeugungsarten – wie Photovoltaik-Anlagen auf der Fläche – gibt es Ausschreibungen. Schnell konnten sich nur noch große Konzerne und größere Firmen beteiligen, die mit Bürgern nichts mehr am Hut haben. Bei Windenergie ist es genauso.

Auch was die Selbstversorgung mit Bürgerenergie betrifft, gab es in der Vergangenheit bessere Bedingungen. Inzwischen wurden Gebühren eingeführt auf Eigenverbrauch. Nur eine kleine Freigrenze wird noch gelassen – das trägt auch nicht dazu bei, dass mehr Dynamik entsteht.

Besonders gravierend ist auch, dass unser Strommarkt auf national und europäisch agierende Konzernstrukturen und traditionelle Energieträger ausgerichtet ist. Beim Verkauf von Strom werden an der Strombörse die Grenzkosten für Strom angelegt und die sind bei Erneuerbaren 0. Für jede zusätzliche Kilowattstunde muss sich das Windrad nur drehen. Deswegen werden die Erneuerbaren an der Börse mit null Cent vergütet, deswegen ist die EEG-Umlage weiterhin sehr hoch. Wir haben auch noch viel zu viel Kohlestrom im Netz, der die Preise am Strommarkt drückt. Das sind überaus schlechte Rahmenbedingungen für das Bürgerengagement. Es gibt aktuell keine sinnvolle Möglichkeit, regional produzierten Strom aus erneuerbaren Quellen zu verkaufen. Der Strommarkt ist nicht darauf eingestellt ist, dass Bürgerinnen und Bürger mitkommen, dass eine Genossenschaft den Leuten im Dorf sagen kann, ihr könnt den Strom direkt aus der Anlage kaufen. Oder dass jemand zu seinem Nachbarn sagt: Pass auf, ich habe ein bisschen was übrig. Willst du nicht was haben? Das nennen wir Prosumer-Handel, ein Kunstwort aus Produzent und Konsument. Da fehlen aktuell die richtigen Rahmenbedingungen. Die Energiepolitik müsste deutlich mehr auf die lokale Ebene schauen aus unserer Sicht; die lokale Ebene stärken, auch im Strommarktdesign. Generell fehlt es genau da bisher an Ambition.

Weitere Informationen unter
www.buendnis-buergerenergie.de

Marco Gütle
Marco Gütle
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Marco Gütle

Marco Gütle ist Projektmanager beim Bündnis Bürgerenergie e.V.

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Elisabeth Staudt

Elisabeth Staudt ist Referentin für Nationale Nachhaltigkeitspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.